Blöd waren die nicht

DOKU-DRAMA „Sturm auf die Stasi“ (21.45 Uhr, ARD) fragt zwanzig Jahre nach der Besetzung der Berliner Zentrale noch mal genau nach. Die Freude der Hauptamtlichen über diese gelungene Operation ist frustrierend

VON ANJA MAIER

Den Sturm auf die Ostberliner Stasizentrale erklären zu wollen ist ja heute, zwanzig Jahre später, als würde man vom Kaiser erzählen. Jüngere Zuhörer fangen an zu gähnen, ältere winken ab: hundertmal gehört die Geschichte! Dennoch lohnt es, sich die 95 Minuten für diesen Film zu nehmen, der am Freitagabend im Ersten läuft. Denn es gibt Neuigkeiten.

Autor Matthias Unterburg nimmt sich die Zeit, sämtliche Quellen zu diesem 15. Januar 1990 noch einmal zu sichten. Er befragt Stasileute, Demonstranten, Bürgerrechtler und Journalisten und zeichnet so eine Chronologie dieses Montags. Die Berliner Normannenstraße war ein Sonderfall. Zwei Monate nach Öffnung der Mauer hatten Bürgerkomitees überall in der DDR die Stasizentralen aufgelöst und den Aktenzugang gesichert. Nur in der Hauptstadt schien noch alles beim Alten, in der Stasikantine wurde gekocht, beim Friseur wurden Haare geschnitten – die „Firma“ lief. Zugleich aber waren die Genossen längst damit befasst, die Akten zu schreddern. Blöd waren sie ja nicht.

So erzählt Ulrich Weiß, Mitarbeiter der Auslandsspionage, wie er und seine Kollegen schon Wochen vor dem Sturm auf ihre Zentrale Akten vernichtet haben. Mit Reißwölfen zogen sie von Büro zu Büro, jagten die Unterlagen durch, und wenn die Papierschnipsel den ganzen Raum ausfüllten, drückten sie die Tür von außen zu und zogen zum nächsten Aktenregal.

Für den 15. Januar hatte das Neue Forum zu einer Demo aufgerufen. „Gegen Stasi und Nasi“ (Amt für Nationale Sicherheit) lautete er, „mit Fantasie und ohne Gewalt!“ Treffpunkt 17 Uhr in der Berliner Normannenstraße. Was die Bürgerrechtler, die versuchten, am runden Tisch den Machthabern das Land qua Verhandlung zu entwinden, nicht wussten: Stunden zuvor hatten Thüringer Bürgerrechtler den praktischen Teil übernommen und die Stasizentrale besetzt. (Was man so besetzen nennt: alle Mitarbeiter nach Hause schicken, von innen abschließen, die Akten suchen.)

Als am Abend tausende Demonstranten auftauchen, sitzen die Thüringer in der Falle. Die Menge rüttelt am Tor, die Situation droht zu eskalieren, schließlich wird die Tür geöffnet. Heute weiß man, dass unter den Demonstranten zahllose Stasimitarbeiter waren, viele von ihnen wohnten ja gleich ums Eck. Sie schleusten die Massen in die irrelevanten Ecken der Zentrale – weg von den Akten, die bis heute Schicksale entscheiden.

Stasimann Ulrich Weiß schildert den Abend als eine Art Ausflug des Ostberliner Pöbels. „Auf einmal kamen eine Unmasse von Leuten mit Kind und Kegel – wie sie durch einen Tierpark laufen“, sagt er, der entgegen der Dienstanweisung sein Büro nicht verlassen hatte. „Du sitzt im Käfig, und draußen gehen die Leute und gucken rein und sind ein bisschen enttäuscht, dass sie keine Raubtiere sehen.“ Beim Anschauen dieser Filmsequenz fragt man sich, wie hilflos sich die Opfer von Leuten wie Weiß fühlen müssen, wenn sie dessen larmoyanten Bericht hören.

Oder wenn sie Werner Großmann, damals General der Staatssicherheit, zuhören, der sagt: „Ja, da ist uns etliches gelungen in dieser Richtung, wo man heute sagen könnte: Wir haben sie übertölpelt.“ Nein, blöd waren sie wirklich nicht.

Viel zu spät kommen die Bürgerrechtler in die Normannenstraße. Es gibt wunderbare Bilder, die zeigen, wie die bärtigen Revolutionäre mit Händeklatschen und wedelnden Armen die Besetzer wie Hühner vom Hof jagen. Da haben westliche Geheimdienste aber schon die relevanten Akten mitgehen lassen.

Und was ist nun die Neuigkeit des Films? Die Banalität des Faktischen. Der kluge Ulrich Weiß, der Mann von der Auslandsspionage, erzählt ganz ruhig, dass selbst nach dieser Nacht noch monatelang geschreddert wurde. Bis Juni 1990 waren Mitarbeiter des MfS, also des DDR-Innenministeriums, damit beschäftigt, Akten zu vernichten. Dann wurde das Land sauber verpackt an die Bundesrepublik übergeben. Und dann hatten auch die westlichen Geheimdienste alle Akten, die für sie wichtig waren.