Verwischte Grenzen

HIP-HOP Auf seinem aktuellen Album „Li(f)e“ versucht Sage Francis, Raps und Songwriting so zu amalgamieren, dass es endlich nicht mehr nach einer musikalischen Zwangsehe klingt

Entstanden ist „Li(f)e“ in enger Zusammenarbeit mit Songwritern wie Chris Walla

VON ROBERT MATTHIES

Dass er wenig Berührungsängste hat, hat Paul „Sage“ Francis schon vor fünf Jahren deutlich gemacht: Als einer der ersten Indie-Hip-Hopper hat der ehemalige Slam-Poet, Freestyle-Battle-Gewinner beim größten US-Hip-Hop-Festival „Scribble Jam“, Anticon-Kollaborateur und „Strange Famous“-Labelgründer einen Plattenvertrag bei einem bis dahin waschechten Punk-Label unterschrieben.

Dass er auch musikalisch dabei neue Wege zu gehen gewillt ist, konnte man dann gleich auf seinem ersten Album für Epitaph Records hören: für den für Hip-Hop-Ohren reichlich ungewöhnlich klingenden Song „Sea Lion“ auf „A Healthy Distrust“ hat sich der 33-Jährige 2005 gleich Singer/Songwriter-Ikone Will Oldham aka Bonnie „Prince“ Billy mit ins Boot geholt.

Dass das kein Ausflug bleiben sollte, ist seit dem Nachfolger „Human the Death Dance“ klar. Während auf Produzentenseite einerseits alte Indie-Hip-Hop-Weggefährten wie Odd Nosdam, Alias, Ant, Sixtoo und Buck 65 mit von der Partie sind, bewegt sich der bärtige MC aus Providence einen guten Schritt weiter weg von der reinen Lehre: Blues-lastige Americana-beeinflusste Songs nebst Fiddle und Harmonika finden sich auf der die ganze Bandbreite von Kritik über Sarkasmus, Ironie und pure Aggression bis zur Poesie bespielenden Platte genauso wie kurze Skits und Spoken-Word-Stücke von Buddy Wakefield. Mit seinem im Mai auf dem Epitaph-Sublabel ANTI- erschienenen aktuellen Album „Li(f)e“, seinem vierten Studio-Album, geht Sage Francis den eingeschlagenen Weg nun selbstbewusst weiter. Und setzt den nächsten logischen Schritt: der Versuch, Raps und Songwriting so zu amalgamieren, dass es endlich nicht mehr nach einer musikalischen Zwangsehe klingt.

Dafür hat sich der Hip-Hop-Grenzgänger schlagkräftige und namhafte Unterstützung besorgt: Entstanden sind die Songs in enger Zusammenarbeit mit Brian Deck, der unter anderem Indie-Helden wie „Modest Mouse“ und „Iron & Wine“ produziert hat, und Songwriter-Größen wie „Death Cab For Cutie“s Chris Walla, Ex-„Grandaddy“-Mastermind Jason Lytle, den Wüstenrockern von Calexico“ und dem an Depressionen leidenden „Sparklehorse“-Multiinstrumentalisten Mark Linkous – der sich im März, kurz nach der Zusammenarbeit für den Song „Love The Lie“, erschossen hat.

Am Mittwochabend stellt Sage Francis seine Hip-Hop-Grenzverwischung im Uebel & Gefährlich vor. Vielleicht die vorerst letzte Chance, den außergewöhnlichen Bühnen-Poeten live zu erleben: Für die Zeit nach der Tour hat er sich erst mal eine schöpferische Pause verordnet – für unbestimmte Zeit.

■ Mi, 6. 10., 21 Uhr, Uebel und Gefährlich, Feldstraße 66