„Die Betriebe sind verwöhnt“

AUSBILDUNG Jugendbildung Hamburg vermittelt „nicht ausbildungsreife“ Jugendliche in Betriebe. Trotz schlechter Zeugnisse können die was, sagt Geschäftsführer Frank Elster

■ der Erziehungswissenschaftler ist seit Sommer 2009 Geschäftsführer der Jugendbildung Hamburg gGmbH

INTERVIEW KAIJA KUTTER

taz: Herr Elster, was tut Ihr Unternehmen Jugendbildung Hamburg?

Frank Elster: Wir bilden Jugendliche aus, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, und zwar tun wir das seit 32 Jahren in mittlerweile 23 Berufsfeldern. Früher waren wir als Berufsbildungszentrum bekannt. Viele unserer Jugendlichen haben keinen Schulabschluss, sind von Wohnungslosigkeit bedroht, haben Schulden und familiäre Sorgen.

Wie viele lernen bei Ihnen?

Etwa 800, aber die Zahl ändert sich täglich, weil wir die jungen Leute während der Ausbildung in betriebliche Ausbildungsverhältnisse vermitteln.

Wie ist die Erfolgsquote?

Kommt darauf an. Die Ausbildung oder den Hauptschulabschluss schaffen etwa 90 Prozent. Die Vermittlung in Betriebe verläuft unterschiedlich. Im Gastro-Bereich schaffen das praktisch alle, bei Büroberufen sind es deutlich weniger. Dort konkurrieren unsere Jugendlichen mit Abiturienten.

Was heißt es, wenn ein Schüler nicht ausbildungsreif ist?

Es geht dabei weniger um die kognitiven Leistungen. Unsere Jugendlichen sind nicht dümmer. Aber sie sind nicht betriebsreif. Durch die Schule haben sie nicht gelernt, wie man sich in einem Betrieb verhält und dort allein zurechtkommt. Zu spät kommen zum Beispiel geht gar nicht. Die Jugendlichen brauchen einen Coach, eine Ansprache, die Betriebe oft nicht bieten können. Wir lassen die Jugendlichen zuerst ein Praktikum machen. Und wenn dort einer fehlt, steht sofort ein Sozialarbeiter vor der Tür.

Aber es gibt an vielen Schulen doch längst ab Klasse 8 regelmäßige Praktikumstage. Helfen die nicht, um aufs Betriebsleben vorzubereiten?

Vielen Jugendlichen bringt das nicht viel. Die haben kein klares Bild von ihrer Zukunft. Da hilft es nicht, wenn man mal mit der Klasse ins Berufsinformationszentrum geht. Die muss man coachen. Das gibt es bislang nicht, auch wenn bei neuen Projekten im Übergang Schule-Beruf so etwas geplant ist.

Spitzt sich das Problem zu? Wird es schwieriger, die jungen Leute zu vermitteln?

Wir haben früher gesagt, wir brauchen Ausbildungsplätze. In diesem Jahr aber waren zu Ausbildungsbeginn 1.500 Plätze frei, obwohl mit dem doppelten Abiturjahrgang die Nachfrage größer war. Dafür gibt es objektive und subjektive Gründe. Die Berufe sind anspruchsvoller geworden, selbst ein Lagerarbeiter muss heute Exel-Tabellen verstehen und Mathe können. Aber die Betriebe sind auch verwöhnt. Die denken, sie stellen den Top-Jugendlichen ein, der vom ersten Tag an funktioniert.

Und? Gelingt es Ihnen, die Betriebe zu überzeugen?

Wir sehen uns als Vermittler. Natürlich müssen viele Jugendliche schulische Defizite aufholen, weil sie dort nur noch mitgelaufen sind. Aber wir lernen hier die Jugendlichen kennen und merken, welche Stärken sie haben. Und wir haben persönliche Kontakte zu über 6.000 Betrieben in Hamburg, die uns sagen, was für einen Typ sie suchen. Wir sagen denen: den Top-Jugendlichen haben wir nicht, aber welche, die durchaus was können. Wenn es dann passt, ist das Zeugnis egal.

Kann jeder Jugendliche zu Ihnen kommen?

Leider funktioniert es nicht so, dass eine Mutter ihr Kind hier anmelden kann. Die Arbeitsagentur weist uns die Jugendlichen zu. Für die Plätze im Rahmen des Hamburger Ausbildungsplatzprogramms können wir selber Bewerber aussuchen.

Es sind Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik geplant. Trifft sie das auch?

Zum Teil. Es gibt zur Zeit rund 1.500 Arbeitsgelegenheiten für unter 25-Jährige, die sollen auf 1.000 gekürzt werden. Wir bieten etwa 120 solcher Plätze an. Wir betreiben zum Beispiel in Barmbek mit dem „Bezahlbar“ einen sozialen Kaufladen, in dem junge Leute sich im Einzelhandel ausprobieren können. Das wäre in Frage gestellt.