Die Traurigkeit der Rosenberg’schen Außenrolle

Marianne Rosenberg ist Schlagerstar, knapp über 50 und hat schon eine Autobiografie geschrieben. Die stellte sie in der Kalkscheune vor

Allgemein wird ja angenommen, das Leben eines Rockstars wäre gesundheitsschädlich, Sex & Drugs und so weiter. Die wirklich Gefährdeten aber sind in Wirklichkeit die Schlagerstars – man sieht es am traurigen Ende von Jürgen Marcus, Roy Black und Rex Gildo. In der Schlagerbranche klaffen Bühnenpersönlichkeit und eigenes Ich wohl einfach am weitesten auseinander. Die weiblichen Vertreterinnen scheinen damit besser zurecht zu kommen. Nana Mouskouri und Vicky Leandros sind dem Genre auf einigermaßen würdevolle Art treu geblieben, Gitte macht Jazz und Katja Ebstein singt Heine. Marianne Rosenberg hat eine Autobiografie geschrieben.

Musikerbiografien sind nicht immer ganz so interessant, aber Marianne Rosenberg war immer schon anders als die Anderen. Ihr Vater, ein Berliner Sinto, wurde 1936, als Berlin zur Olympiade „zigeunerfrei“ werden sollte, in verschiedene Lager gebracht, überlebte und wurde von den Russen aus Auschwitz befreit. Seiner Tochter gab er den Rat, ihre Herkunft lieber zu verleugnen. Wenn einer fragte, warum der Vater so dunkel sei, sollte sie sagen, die Familie komme aus Ungarn.

In den ersten Kapiteln von „Kokolores“ erzählt die Berlinerin Rosenberg von abenteuerlichen, nächtlichen Auftritten in Kneipen, in die sie mit Bruder und Taxi fährt, wenn der Vater anruft, weil er betrunken und sentimental ist. Dort steht die Fünfjährige dann auf dem Tisch und singt, ihr Bruder spielt die Gitarre. Ihr verdientes Geld verspielen die Kinder am Spielautomaten. Später lernen die Rosenberg-Kinder die Welt der Talentwettbewerbe kennen – 1969 wird die 14-jährige Marianne mit „Mr. Paul McCartney“ ein Star, sorgt für das Einkommen der Familie und ersingt ihr ein Haus. Man erfährt viele Details über eine Berliner Kindheit in der Nachkriegszeit, über den Mauerbau – und dass Udo Walz schon in den 70ern sein Unwesen trieb und die berüchtigte Rosenberg’sche Außenrolle erfand.

Auch wenn gegen Ende die Erzählung etwas schwächer wird, die opulenten Bühnenshows ein wenig zu en détail beschrieben werden: „Kokolores“ ist keine Abrechnung mit der Schlagerbranche, sondern eine lohnende Lektüre. Wie klein doch die Berliner Szene in den frühen 80ern war, so klein, dass vermeintlich so unterschiedliche Leute wie Marianne Rosenberg, Rio Reiser, Blixa Bargeld, Annette Humpe und Ulla Meinecke alle was miteinander zu tun hatten und gemeinsam auf der Bühne standen!

Am Mittwoch stellte Marianne Rosenberg in der Kalkscheune ihr neues Buch vor. Das Interesse war groß, zwei schwule Pärchen und ein ansonsten vorwiegend älteres Publikum hatten sich eingefunden – die Kinder der 60er sind ja heute auch schon über 40. Unter großem Applaus kam sie auf die Bühne, ihr seit den 80ern etwas gruftiges Schneewittchenoutfit wurde modifiziert – sie ist erblondet und wirkt jetzt heller, moderner. In einem etwas steifen Gespräch mit Moderator Axel Schock sprach sie über ihr Leben und ihr Buch, las einige Abschnitte und erfreute ihre Fans mit einem italienischen Lied. Es war das Lied, mit dem sie den Schlagerwettbewerb im Europacenter und ihren ersten Plattenvertrag gewann. Anders als bei ihren Smashhits kam hier ihre schöne, dunklere Singstimme voll zur Geltung.

Manche wissen jetzt vielleicht besser, warum sie den Schlagerstar Marianne Rosenberg schon damals so mochten: Nicht nur wegen „Fremder Mann“ und „Er gehört zu mir“, sondern weil man auch in der ZDF-Hitparade schon spürte, dass sie ein wenig verloren war und nicht so richtig dazugehörte. Und weil sie mit ihrer dunklen Stimme nicht Schlagerkitsch herstellte, sondern stets eine warme Traurigkeit.

CHRISTIANE RÖSINGER