pilzhirscheln am elftenseptember von WIGLAF DROSTE
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Am Elftenseptember 2006 hatte die Welt al-Qaida und den Papst, und beides im Endstadium. Ich bin bescheidener, ich hatte die Handwerker. Das war Grund genug zur Flucht. Schon oft hatte ich die Schönheit Thüringens rühmen hören, nun wurde die Gelegenheit ergriffen. In Eisenach spielte die Intelligenzpunkband „Die Geilen Götter“ ihr Lied „Benedikt, o Benedikt, dich hat der liebe Gott geschickt“, das mit überraschender Instrumentierung und klugem Arrangement erfreut und im Text Wahrheitstreue und Charme gelungen mischt: „Du warst zwar mal ein Hitlerjunge, doch wer war das damals nicht.“

Ist es nicht wünschenswert, dass junge Menschen den Papst ernst nehmen, statt gierig auf eklige „Events“ in seine Massenmessen zu trotteln und das dann frühdebil „total super“ zu finden? Und sind die milden „Geilen Götter“ nicht so viel sympathischer als der zum Benedikt beförderte Marktschreier, der vor 250.000 Public-Viewing-Konsumenten so gesalbt wie nichtssagend zielgruppenkonforme PR für „Spritualität“ macht, als sei so etwas im Pulk zu haben?

Ich striff das Gottunddieweltgewürge ab und begab mich in die Thüringer Wälder. Ein Ortsname fiel mir auf, Tabarz, den kannte ich aus einer Erzählung von Ringelnatz – und wurde nicht enttäuscht. Im Schaufenster der Berg-Apotheke stand auf einem selbst gemalten Plakat: „Knochen-Check am 11. September“. Großartig: Hier wurde der Irrsinn nicht einfach von den Discounter-Medien übernommen, hier war er noch hausgemacht wie Klöße und Kuchen.

Sogleich ging es in die Pilze. Meinen vor zehn Jahren in Zürich gekauften Wanderstiefeln hatte ich endgültig Adieu sagen müssen; nun schlüpfte ich in die neuen aus Eisenach und fitschte los, zum großen Inselsberg, 500 Meter höher gelegen als Tabarz. Auf der ersten Hochwiese standen orangerot leuchtende Ebereschen; ich griff mir einen schönen Beerenzweig mit grünem Laub und steckte ihn im Band meines Strohhutes fest. Man muss den Kopf nicht muffig begamsbarten, das Florale ist leichter, denn es weiß nichts vom tierischen Ernst.

Eine zertrampelte Lichtung betretend, auf der offenbar Hirsche herumgeforkelt hatten, fand ich eine Geweihstange von etwa 40 Zentimetern Länge, hob sie auf und schob sie mir hinter den Gürtel. Beglückend ist es, durch den Wald zu hirscheln und dem Pilzwild nachzustellen. Geschärft sind Pilzmesser und Pilzblick, und anders als die Fauna aller Art läuft der Pilz nicht weg; er hat andere Finten und tarnt sich geschickt, wenn nicht raffiniert. Besonders hübsch und üppig an Zahl aber zeigt sich in diesem Jahr der Fliegenpilz und leuchtet tausendfach aus dem Wald heraus, rot wie die Liebe: magisch, verlockend, glühend.

Die natürlichen Feinde des Pilzsuchenden sind Maden, Schnecken und Rentner. Ihnen gilt es zuvorzukommen, denn alle drei Plagen sind gleichermaßen zahlreich wie hinterlistig. Mit Glück gelingt es, bald füllt sich der Beutel mit samtkappigen Maronen und festen, Vorfreude auslösenden Steinpilzen. Sacht verrichtet sich dieses Waidwerk, ohne Piffpaff und Donnerbüchse, still und spirituell – dies als kleiner Hinweis für würdefreie Werbeträger wie Papst Schwatzratz, den Teletubbie.