„Schulden streichen“

VORTRAG Elmar Altvater erklärt, warum Europa „anders geht“ und wie die Krise enden könnte

■ 75, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac.

taz: Herr Altvater, wie geht „Europa“?

Elmar Altvater: Anders, als es bislang funktioniert hat. Europa wird es in Zukunft nicht mehr geben, wenn nicht grundlegende Reformen durchgeführt werden. Dafür müssen wir linke Alternativen entwickeln.

Wie sehen die aus?

Wir brauchen eine Lösung für die Euro- und Staatsschuldenkrise. Das funktioniert nur, wenn wir die Schulden geregelt streichen. Für Länder wie Griechenland, Italien, Spanien und Portugal sind die nicht mehr zu lösen. Zum anderen müssen wir die Austeritäts-Politik verändern.

... die strenge Sparpolitik ...

Die hat in einigen Ländern zu tragischen Konsequenzen geführt: zur Vernichtung von Sozial- und Gesundheitssystemen, zur Vernachlässigung des Bildungssystems. Diese Politik der Troika muss weg. Erst dann können wieder Spielräume gewonnen werden, die demokratische Entscheidungen möglich machen.

Auf europäischer oder nationalstaatlicher Ebene?

Ein Zurück zu nationalstaatlichen Regelungen funktioniert nicht. Ich glaube, dass die Währungs- und Finanzkrise auf nationalstaatlicher ebenso durchschlagen würden. Es geht um eine Wirtschaftspolitik im Euroraum. Wir brauchen eine positive Integration – nicht die negative, die darin bestand, dass wir alle Grenzen abgebaut haben und dereguliert haben, was es zu deregulieren gab – vor allem die Finanzmärkte. Die Herstellung des Gemeinschaftlichen ist bislang nicht geschafft worden.

Sie reden von einer Vergemeinschaftung, der Stärkung eines nationalistischen europäischen Gedankens?

Ich benutze diese Formel nicht, denn damit wird gewedelt, wenn man möglichst nichts Substanzielles verändern will. Ich bin nicht so idealistisch und sage, mit Gedankenstärkung könnte man die Löhne in den ärmeren Ländern erhöhen.

Solidarischer nach innen heißt aber abgeschottet nach außen?

Nein, im Gegenteil. Europa wäre nicht das, was es ist, wenn es nicht eine Immigration gegeben hätte. Europa ist ein Kontinent der Migration – wenn man das verhindern will, muss man erst die Migration des Kapitals verhindern. Nur meint Abschottung niemals Abschottung gegenüber dem Kapital. Aber viel wäre gewonnen, wenn man bestimmte Finanzplätze dichtmachen würde, Regeln einführt, die riesigen Gewinnmargen zu begrenzen und man die Tobin-Steuer wirklich durchsetzen würde. INTERVIEW: JPB

20 Uhr, Haus der Wissenschaft