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Archiv-Artikel

Die ganz große Koalition

ORANIENPLATZ Der Senat bietet den Flüchtlingen eine Einzelfallprüfung an. Auch die grüne Bezirksbürgermeisterin gibt sich zufrieden: Mehr habe der Senat nicht erreichen können

Herrmanns Worte wirken wie eine Absolution für das, was Senatorin Kolat seit Januar mit Flüchtlingsvertretern verhandelt und nun unterschrieben hat

VON STEFAN ALBERTI UND BARAN KORKMAZ

„Es wäre schlichtweg nicht mehr drin gewesen“, sagt die Endvierzigerin mit dem Kurzhaarschnitt am Dienstagmittag. Und dass ein „großer und herzlicher Dank“ auch an den Innensenator geht. Es ist nicht eine CDU-Aktivistin, die da vor Dutzenden Journalisten im Roten Rathaus das sogenannte Einigungspapier zwischen Flüchtlingsvertretern und rot-schwarzem Senat zum Oranienplatz lobt. Es ist vielmehr Monika Herrmann, die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, von der man lange dachte, man könne sie guten Gewissens nicht mit ebenjenem Innensenator und CDU-Landeschef Frank Henkel allein in einem Zimmer lassen.

Herrmann sitzt im Presseraum des Rathauses direkt neben Henkel auf einem Podium, und zwischenzeitlich lässt sich gut beobachten, wie Henkel Herrmann lächelnd etwas zuraunt, was nicht feindlich scheint. Es ist ein Podium, das es hier noch nie gab. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, Henkel und Integrationssenatorin Dilek Kolat (beide SPD), sie alle sind mit der Grünen-Politikerin hier, um einen Ausweg aus dem Konflikt um die Oranienplatz-Besetzung vorzustellen.

Der heißt im Kern: Einzelfallprüfung und andere Unterkünfte gegen freiwillige Räumung nicht nur des Oranienplatzes, sondern auf Drängen der CDU auch der ebenfalls besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule. Das haben am Vormittag laut Kolat sie selbst und drei Vertreter einer sechs- bis siebenköpfigen Sprechergruppe unterschrieben, mit der sie seit Januar verhandelt hat. Es ist ein Auftritt, der mehr als deutlich vermitteln soll: Wir, die Politik, wir haben unseren Teil erledigt. „Der Senat hat den Weg zu einer Einigung geebnet, der Ball liegt jetzt beim Oranienplatz“, formuliert es Henkel.

Sein Bild ist etwas schief, und doch gibt es genau die Haltung der Frauen und Männer am Tisch wieder. Vor allem Herrmanns Worte wirken wie eine Absolution für das, was Senatorin Kolat seit Januar mit Flüchtlingsvertretern verhandelt, formuliert und nun unterschrieben hat. „Nicht nur individuell ist viel erreicht worden, auch allgemein in der Flüchtlingspolitik“, sagt Herrmann. Berlin allein könne weder die bundesweit geltende Residenzpflicht aufheben noch das Arbeitsverbot. Und sie, die eine Räumung durch die Polizei stets ablehnte, spricht nun davon, keine Neubesetzungen des Platzes zu akzeptieren.

Mit einem Polizeieinsatz droht keiner an diesem rot-schwarz-grünen Tisch, eine Frist, bis zu der die Flüchtlinge den Platz und die Gerhart-Hauptmann-Schule zu räumen haben, mag trotz Nachfrage auch keiner nennen. Und doch schwingt der Gedanke stets mit. Bereits im Januar, als Henkel sich im Senat mit einer Zwangsräumung nicht durchsetzen konnte und Wowereit Kolats Verhandlungen ankündigte, hatte der Regierende eine Räumung grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Nun liegt der Vorschlag auf dem Tisch, und Henkels Empfehlung ist deutlich: „Es sollte im dringenden Interesse der Besetzer liegen, das Angebot anzunehmen.“

Kaum zwei Kilometer entfernt sehen das am Oranienplatz nicht alle so. Kolat hat schon im Presseraum berichtet, 27 der nach ihrer Zählung fast 470 Flüchtlinge in der Schule, auf dem Platz und in der Caritas-Unterkunft im Wedding würden das Papier ablehnen. Sie hätten bereits in anderen Bundesländern erfolglos Asylanträge gestellt, ihnen könne sie nicht wie gefordert Bleiberecht zusagen.

Knapp 30 Menschen, davon gut zehn Journalisten, sind kurz nach der Pressekonferenz auf dem Platz anzutreffen. „Sie (Kolat, d. Red.) hat uns geteilt, indem sie irgendjemanden stellvertretend für alle hier anwesenden Flüchtlinge eine Übereinkunft hat unterschreiben lassen“, sagt ein Flüchtling der taz. Ein anderer versichert sichtlich aufgewühlt: „Wir werden hier jedenfalls nicht weggehen.“ Ein Unterstützer kündigt zwar an zu gehen – aber nur, um mit anderen Aktivisten Mitte Mai 30 Tage Richtung Brüssel zu marschieren und dort für eine andere EU-weite Flüchtlingspolitik zu demonstrieren.

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