MENSCHENRECHTSVERSTÖSSE: ES REICHT NICHT, DASS ALLES RAUSKOMMT
: Der CIA-Skandal soll kein Skandal sein

Wenn ein Skandal zu vermelden ist, kann der Wert der Aufklärungsarbeit von Ausschüssen oder Redaktionen gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Vieles wäre ohne diese Arbeit niemals bekannt geworden. Entscheidend jedoch ist etwas anderes: Nämlich die Frage, ob eine Gesellschaft einen bestimmten Vorgang eigentlich überhaupt als Skandal wertet – oder ob die Öffentlichkeit ihn augenzwinkernd, möglicherweise gar zustimmend akzeptiert. Und den Verantwortlichen allenfalls vorwirft, dass sie sich haben erwischen lassen.

Immer neue Enthüllungen erlauben inzwischen keinen vernünftigen Zweifel mehr daran, dass sich Mitglieder der früheren Bundesregierung und Angehörige deutscher Behörden zynisch und menschenverachtend über rechtsstaatliche Prinzipien hinweggesetzt haben. Für ehemalige US-Gefangene wie Murat Kurnaz aus Bremen mag es eine kleine Genugtuung sein, dass diese Vorgänge nicht unter den Teppich gekehrt, sondern in Untersuchungsausschüssen aufgeklärt werden sollen. Angesichts der schweren Beschuldigungen, die im Ausschuss des Europäischen Parlaments erhoben wurden, mahnte nun der SPD-Europaabgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler die neue Regierung zur Offenheit. Es käme schließlich alles ans Tageslicht.

Ja, das kann sein. Aber wenn etwas nicht folgenlos bleiben soll, dann muss ein nennenswerter Teil der Öffentlichkeit sich für ein Thema interessieren und darf Verstöße gegen Menschenrechte und Rechtstaat nicht für Kavaliersdelikte halten. Ist das in Deutschland gegenwärtig der Fall? Das ist sehr fraglich. Kritik an Menschen-und Völkerrrechtsverletzungen in den USA werden mit dem Verdacht des Antiamerikanismus belegt. Über eine Relativierung des Folterverbots wird ernsthaft diskutiert. Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsbehörden, die dieses Verbot offen mißachten, ist gängige Praxis. All das zeugt von einem Klima, in dem das Unrecht, das CIA-Gefangenen aus Deutschland widerfahren ist, eigentlich nicht überraschen kann. Details hat die Öffentlichkeit nicht gekannt. Aber am politischen Klima wirkt sie mit. BETTINA GAUS