Versicherer im Rationalisierungswahn

Die Volksfürsorge will 450 Stellen streichen, der britische Aviva-Konzern gleich 4.000. Und damit dürfte der Arbeitsplatzabbau nicht zu Ende sein. Denn die Branche folgt beim Outsourcing und der Plattformstrategie dem Vorbild der Automobilindustrie

VON STEPHAN KOSCH
UND HERMANNUS PFEIFFER

Die Stellenstreichungen in der Versicherungsbranche gehen weiter. Nach der Allianz will nun auch die Volksfürsorge bundesweit 450 Stellen abbauen. Gleichzeitig kündigte die größte britische Versicherungsgruppe Aviva an, dass im Lauf der nächsten Jahre in Großbritannien rund 4.000 Arbeitsplätze gestrichen und etwa ein Viertel davon nach Indien verlagert werden sollen. Erst im Juni hatte der Allianz-Konzern gemeldet, dass bundesweit rund 6.000 Stellen wegfallen sollen. Dagegen wollen am Montag in Frankfurt die Beschäftigten der Allianz am Vormittag mit einem gut zweistündigen Demonstrationszug in der Innenstadt protestieren.

Das taten gestern bereits rund 2.500 Beschäftigte der Volksfürsorge und anderer Versicherungsunternehmen in der Hamburger Innenstadt. Zuvor hatte der Vorstand die Mitarbeiter der Volksfürsorge in einer Betriebsversammlung über die Umstrukturierungen im Unternehmen informiert. Hintergrund sind die Vorgaben der italienischen Konzernmutter Generali (Aachen-Münchener, Volksfürsorge, CosmosDirekt), die in Deutschland 1.500 Stellen streichen will.

Die Branche ist trotz guter Geschäftslage derzeit im Rationalisierungswahn. Insgesamt könnten in absehbarer Zeit in Deutschland bis zu 20.000 Jobs vernichtet werden, schätzen Experten. Die Versicherungswirtschaft hält zwar solche Zahlen für „reine Spekulation“. Doch auch der Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen verweist darauf, dass der Globalisierungsdruck zu einem „leichten Abbau“ bei den Arbeitsplätzen führen werde.

Ein deutlich finstereres Bild malt die Unternehmensberatung Steria Mummert. Sie erwarter „einen dramatischen Rückgang im Versicherungsbestand“, als Folge des demografischen Wandels. Anderseits nimmt die Nachfrage nach privater Altersvorsorge rasant zu, belegt die Bundesbankstatistik. Im vergangenen Jahr konnte die profitabelste Sparte, Lebens- und Rentenversicherungen, ihren Anteil am Sparkuchen deutlich vergrößern, 686 Milliarden Euro haben Bundesbürger nun bei der Assekuranz auf die hohe Kante gelegt.

Dabei ähnelt die Branche immer mehr der Automobilwirtschaft, die Produkte werden immer ähnlicher, und zunehmend entscheidet die reine Schlagkraft von Werbung und Vertrieb über den Erfolg. Um Kosten zu senken, werden Kfz-Policen standardisiert und nur noch mit unterschiedlichen Chassis versehen. Ergo hat ein gemeinsames IT-System für alle Konzerntöchter geschaffen und outgesourct.

Neben der Straffung der Konzerne und der Industrialisierung der Branche werden vor allem Fusionen in den kommenden Jahren viele Arbeitsplätze kosten. Erst kürzlich hat Talanx den Gerling-Konzern übernommen und Axa von der Credit Suisse den Versicherer Winterthur für 7,9 Milliarden Euro gekauft. Ohne einen drastischen Stellenabbau werden sich solche Deals nicht auszahlen – unklar ist nur noch der Umfang des Personalabbaus.