„Etepetete war ich da nie“

Klaus von Dohnanyi, einst Bürgermeister Hamburgs, erinnert sich gut und gern an den Zoff um die besetzte Hafenstraße

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

taz: Herr von Dohnanyi, hätten Sie sich vor 25 Jahren vorstellen können, dass das Wohnprojekt in der Hafenstraße einmal ein positiver Imagefaktor Hamburgs sein würde?

Klaus von Dohnanyi: Ich weiß nicht, ob das heute so ist. Jedenfalls ist positiv an der Hafenstraße, dass die Stadt an ihrem Beispiel gezeigt hat, dass sie in schwierigen Lagen liberale Lösungen finden kann.

Es muss Sie 1987 entsetzt haben, dass ein Helikopter der Unterstützerszene der Hafenstraße Sie aus Ihren Ferien auf Sylt zurückholen musste, um zu verhindern, dass an Ihnen vorbei und gegen Ihre Absicht geräumt wird.

Ja, das ist wahrscheinlich richtig.

Das klingt so hartgesotten. Hat es Sie nicht gewurmt, dass Senatskollegen aus dem Traditionsmilieu Ihrer Partei hinter Ihrem Rücken Ihnen Stöcker in die Speichen werfen?

Es gab halt unterschiedliche Beurteilungen der Sicherheitslage. Ich habe diese immer etwas gelassener und etwas realistischer beurteilt, als dies andere im Senat getan haben.

Was bedeutete Ihnen die Hafenstraße?

Zunächst war es eine Sache, die ich geerbt habe bei meinem Amtsantritt. Wir wollten ja die Leute nicht vertreiben, sondern eine bewohnbare Situation herstellen. Und die gab es ja damals nicht, es sah ja schauerlich aus. Das darf man nicht bestreiten.

Die Furcht war: eine Sanierung zu Lasten der armen Leute – dass aus dem Elbrand eine Flaniermeile wird.

Es ging nicht nur um Flaniermeilen. Die Stadt sollte ihr Gesicht wiederbekommen, sich nicht nur in den Norden hin ausbreiten, sondern zurück an den Fluss, die Elbe wachsen.

Tatsächlich ist mittlerweile eingetreten, was Kritiker aus dem Hafenstraßenumfeld befürchtet haben: Diese Wohnlage ist für Arme unbezahlbar.

Mietpreise waren nicht unser Punkt. Wir hatten darauf zu achten, dass Gebäude und Einrichtungen repräsentativ für die Stadt sind. Stellen Sie sich mal vor, man würde die Hafenstraße neben das Rathaus stellen!

Es wäre vielleicht ein Ensemble als Zeugnis moderner Kunst im öffentlichen Raum.

Gut, aber wir waren besorgt zum Beispiel um die hygienischen Verhältnisse überhaupt in dem Viertel. Deshalb wollten wir sanieren – und aus diesem Grund haben wir dem Hafenstraßenprojekt einen Vertrag angeboten.

Aber gegen den Widerstand der rechten Sozialdemokraten im Senat. Die klagen ja noch heute, der Dohnanyi hat uns diese Schmuddelkinder hinterlassen.

Es war doch klar, dass wir Verträge brauchen würden. Nach dem Wahlergebnis im Herbst 1986 gab es darüber sogar einen gemeinsamen Beschluss in der Fraktion, in der Bürgerschaft und im Senat, dass wir Verträge abschließen würden. Ich hatte Kontakt mit Richard von Weizsäcker gehabt, dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, und ihn nach seinen Erfahrungen mit der Hausbesetzerszene in Berlin befragt.

Der hatte mit Vertragstreue viel Kredit gewonnen.

Und wir sagten, wir wollen diese Verträge auch. Das war alles einstimmig beschlossen. Das konnte man nicht einfach umkippen, nur weil es einem nicht passt. Es gab im Senat aber einen …

der war?

… den Namen will ich nicht nennen, der hat gesagt, naja, was wir vor der Wahl versprochen haben, ist doch nicht so wichtig. Das konnte ich nicht dulden. Zusagen und Versprechungen zu machen, zu ihnen hinterher nicht zu stehen, das ist unredlich.

Wie empfanden Sie persönlich die Hafenstraßenhäuser – jenseits der regierungstechnischen Perspektive?

Meine Einstellung war so wie gegenüber der Achtundsechzigerbewegung und der Grün-Alternativen Liste in Hamburg insgesamt: eine ambivalente. Bis heute. Auf der einen Seite sehe ich die Kreativität, den Witz – und auch die Erfrischung, die aus diesen politischen Regionen, wenn ich das mal so sagen darf, kommt.

Und andererseits …

… haben diese Leute auch mit einer Leichtfertigkeit Institutionen in Frage gestellt, die mir nicht behagte. Institutionen sind für die Bürger da, damit die Gesellschaft, damit die Stadt funktioniert: das Gesundheitswesen, das Verkehrssystem, die Kindergärten, die Universitäten und Schulen, die Gerichte, die Sicherheit und so weiter.

Ihre Sorgen in Ehren, aber die Leidenschaft der Besetzer muss Ihnen doch gefallen haben – ein bürgergesellschaftliches Engagement für ein besseres Leben par excellence.

Hat es ja auch zum Teil. Aber meine Gefühle bleiben trotzdem zwiespältig. Institutionen zerstören zu wollen habe ich immer abgelehnt. Sie mit Spott zu bedenken, in Zweifel zu ziehen, das finde ich, wenn es passt, richtig. Man muss aber immer wissen, dass auch hinterher eine gewisse Ordnung, insbesondere eine Rechtsordnung herrschen muss.

Sind Sie zufrieden mit dem Outfit der Hafenstraße? Kürzlich sah man Geranienkästen vor den Fenstern der einst umkämpften Häuser.

Es ist leider noch nicht so, wie es sein sollte und könnte. In der Sanierung sind Fortschritte gemacht worden, aber man könnte das für alle, glaube ich, noch kreativer und schöner machen.

Ihr Vorschlag wäre?

Gucken Sie sich doch die Wege dort an. Sauberkeit einer Straße oder auf einem Weg – das ist noch kein bürgerlicher Schandfleck! Für mehr Sauberkeit könnte man sorgen. Es muss ja nicht aussehen wie im Badezimmer, aber man muss schon dafür sorgen, dass auch andere Leute dort ohne Zorn vorbeigehen können.

Rom ist auch nicht an einem Tag renoviert worden.

Sie haben Recht, nur ich bin jetzt fast 20 Jahre aus dem Amt, und für das Säubern eines Hauszugangs oder eines Bürgersteigs braucht man nicht 20 Jahre. Es fehlt da doch an der Einsicht, eben auch an einem gewissen Gemeinschaftsgefühl.

Ordnung jedenfalls war nun nicht das erste Anliegen der Hafenstraßen-Bewohner.

Gut, doch es gab es eben viele Leute auf St. Pauli, die darunter gelitten haben, dass es bei den Hafenstraßenhäusern so chaotisch und schmutzig war. Auf diese Leute mussten die Bewohner doch auch Rücksicht nehmen. Mir geht es um das Gemeinschaftsgefühl, nicht um eine Polizeiordnung. Dass die Hafenstraßen-Bewohner mit anderen auf St. Pauli zusammenleben, darauf sollten sie Rücksichten nehmen. Man kann sich doch, wo man zusammenlebt, nicht mit nacktem Hintern durchsetzen. Das Gemeinschaftsgefühl darf sich nicht nur nach innen erstrecken, sondern muss auch nach außen funktionieren.

Hätten Sie Lust, die Hafenstraße in dieser Hinsicht zu beraten? Sie haben dort nach wie vor viel Kredit.

Könnte ich vielleicht machen. Etepetete war ich ja gegenüber der Hafenstraße nie. Der wirkliche Konflikt war eben, dass im Bezirk Mitte, zu dem auch St. Pauli und die Hafenstraße gehören, auch andere Menschen leben, solche, die mit den Lebensvorstellungen der Hafenstraße nichts zu tun haben möchten. Diese nur zu verachten wegen ihrer Spitzengardinen und Alpenveilchen am Fenster und nur die eigene Unordnung für richtig zu halten, das geht nicht. Man muss im Zusammenleben auch Rücksicht auf andere Lebensformen und Bedürfnisse nehmen. Das hatten die Hafenstraßen-Bewohner zu lernen.

siehe auch SEITE 14