Magie der zwei Pistolen

Wenn nichts mehr Bedeutung hat, wird Leben zum Ballast. Henrik Ibsens „Hedda Gabler“ am Theater Dortmund ist auch eine Abrechnung mit Wissenschaft als neuem Zweig auf dem Kapitalbaum

VON PETER ORTMANN

Suizid ist die letzte Selbstbestimmung des Intellekts. Dumm, wenn die Waffe leer geschossen ist und hinter der teuren Sportkarosse ein Nebel des Grauens aufzieht. Imagine. Ein neuer Subtext unter dem Stück Hedda Gabler von Henrik Ibsen. Diese Hedda von Birgit Unterweger hat eigentlich noch mehr von einer Christa Wolf-Medea, als die Inszenierung über die Rampe bringt. Dennoch ist sie schnittig aktualisiert mit Jean Baudrillard, Michel Houellebecq und Peter Sloterdijk. Sogar brandneu, Schorsch Kamerun sei dank, mit einer Live-Coverversion von „Mila“ vom letzten Goldene Zitronen-Album. „Erlaubt ist, was nicht stört“, heißt es da. Das passt hervorragend zu den vergangenen Theatersaisons in NRW. Hedda lässt erst einmal hoffen.

Die Inszenierung von Philipp Preuss am Theater Dortmund lässt den ollen Norweger in seinem Gedenkjahr mit viel Mehl und Trockeneis für die teure erste Reihe im Zuschauerraum in der Gegenwart ankommen. Oder ist es etwa schon die Zukunft? Stelle Dir vor, es gäbe nichts, für das ich töten oder sterben müsste. Klaro, John Lennon. Imagine. Stelle dir vor, es gäbe nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt. Hedda Gabler. Imagine. Die lebt bei Regisseur Preuss mitten im Autoshoe-Messecenter, Geld regiert ihre luxuriöse Welt. Auch wenn und weil sie es nicht hat. Die ehemalige femme fatale hat sich nicht nur ausgetanzt, sie hat resigniert. Kein Wunder in der monströsen Pseudowelt, die sie umgibt, selbst Zynismus wird da nach einiger Zeit gemacklos, Einmal Macht über einen Menschen bleibt als letzte Droge.

„Das vom Dichter selbst hervorgebrachte Ungeheuer in Frauengestalt ohne entsprechendes Vorbild in der realen Welt“ (Morgenbladet, Norwegen, 1890) hat den Sprung in die heutige Realität problemlos geschafft. Da wird auf Teufel komm raus gekokst, gesoffen und die Kreditkarte bemüht. Dem gefallenen Engel hat das bestimmt gefallen. Mehr als ein Jahrhundert nach der Uraufführung hat die Dekadenz in bestimmten Gesellschaftskreisen eben nichts von ihrer Dominanz verloren. Selbst Ibsens Zwiebel-Gleichnis füllt wieder alle Gazetten, wenn auch mit anderen Protagonisten.

Und so sitzt die schöne Hedda in ihrer stylischen Designer-Herberge und sehnt sich nach dem Wahren, dem Schönen, während ihr Angetrauter Jörgen seine Kulturfuzzi-Karriere managed. Der Professorentitel ist nicht mehr weit, die soziale Hängematte damit auch nicht. Die Abgründe der bürgerlichen Gesellschaft haben sich vom 19. Jahrhundert zum 21. Jahrhundert eben nicht geändert. Ibsen hätte das Gesellschaftsdrama „Hedda Gabler“ als Drama der Gesellschaft bestimmt auch 2006 geschrieben. Mäzen Brack wäre wahrscheinlich Vorstandsvorsitzender eines multinationalen Konzerns gewesen. Mark ist eben Euro.

Ein paar der so genannten Regieeinfälle bei der Personen-Choreografie störten das Gesamtbild ein wenig. Sie waren überflüssig, die gelungene farblose, weil weiße Installation aus Zeitmaschine und Gesellschaftskritik wäre auch so, dank der Schauspieler, schlüssig gewesen und vielleicht noch intensiver. Irgendwie wäre das ja auch kein Leben für Hedda gewesen zwischen Kulturwissenschaftlern. Rock`n`Roll sieht anders aus. Die Hoffnung liegt also nicht auf der Duellpistole ihres Vaters, sondern im aufziehenden Nebel am Schluss der Inszenierung. Oder um es einfach mit David Bowie zu sagen: „Don‘t let the sun blast your shadow“. Imagine, Hedda.

Theater DortmundKarten: 0180-5170 517