betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Sie war die Einzige in ihrer Familie, die eines natürlichen Todes starb: Ismene, Schwester der Antigone und Tochter des Ödipus aus dessen inzestuöser Ehe mit der eigenen Mutter, was er aber erst erfuhr, als es längst zu spät und die Tragödie nicht mehr aufzuhalten war. Riesige Mythologien des Abendlands gründen auf dieser furchtbaren Familiengeschichte. Nur Ismene spielt kaum eine Rolle darin, ist aus Sicht der Nachwelt also ziemlich uninteressant. Unspektakulär leben und sterben können wir schließlich selber. So überlassen wir das Tragische gern anderen. Davon lebt das Theater (und die Boulevardpresse) schon von jeher, dass ihre Protagonisten stellvertretend für uns durchs Fegefeuer gehen. Wir sitzen da und hören zu. Gehen am Ende heim in unser normales Leben. Und das ist ja auch eigentlich ganz richtig so. Die niederländische Dramatikerin Lot Vekemans hat sich jetzt dieser Nebenfigur der Ödipus- und Antigone-Geschichte angenommen und lässt sie in ihrem Ein-Frauen-Stück „Ismene, Schwester von“ nach zweieinhalb Jahrtausenden nun selbst das Wort ergreifen und ihre Sicht auf die Tragödie ihrer Familie erzählen, der getöteten Brüder Polineikes und Eteokles, ihrer Schwester Antigone, die von ihrem Onkel Kreon lebendig begraben wurde. Das Stück der 1965 geborenen Vekemans ist auch eine Reflexion über die Theatersituation selbst. Und über die, die im Dunkel des Zuschauerraums sitzen und sich fremde Schicksale zu Gemüte führen: In den Blick geraten also auch die Zuschauer, das heißt: wir. Stephan Kimmig, der vor zwei Jahren im Deutschen Theater die gesamte Ödipus-Geschichte inszeniert hat, setzt seine Auseinandersetzung mit diesem Stoff in den DT Kammerspielen mit diesem Frauenmonolog fort. Mit Susanne Wolf, einer der stärksten Spielerinnen des Ensembles (Deutsches Theater: „Ismene, Schwester von“, Premiere 21. 3., 20 Uhr).

Um eine Soloperformance handelt es sich auch bei der neuen Produktion der Choreografin Meg Stuart, die am 26. 3. im HAU2 Premiere hat. Die große Stuart herself wird höchstpersönlich auf der Bühne stehen und ihren Körper als Archiv aus eigenen und kulturellen Erinnerungen erforschen, in den sich ihre Vorfahren und ihre künstlerischen Vorbilder eingeschrieben haben. Der daher nicht allein von ihrem Willen (und sei es der künstlerische Wille zur Gestaltung) gesteuert wird, sondern auch von Fantasien und unsichtbaren Kräften. Mit „Hunter“ macht sie sich auf die Suche nach diesen verborgenen Kräften, um das Gefundene als Séance und Performance zunächst für sich selbst, aber ebenso für die Zuschauer erfahrbar zu machen (HAU2: „Hunter“, Premiere 26. 3., 20 Uhr).