Vorbildlich in Sachen Swing und Sexyness

KONZERT Die Sechziger als das große Sound-Reservoir – King Khan & The Shrines rocken mit ihrer Soulrevue das ausverkaufte Lido und zeigen, dass man den Pop manchmal am besten mit Pop und live erklärt

King Khan schaffte sich wie ein James Brown, er kreischte, schrie und säuselte, das Publikum im Griff

Nein, es war nicht alles gut! Wenigstens am Anfang des Abends wollte man sich zwischendurch schon mal fragen, ob man an diesem Dienstag nicht doch am anderen Ende von Kreuzberg besser aufgehoben gewesen wäre, um sich dort das mit dem Pop noch einmal erklären zu lassen. Während also in der Stresemannstraße im Hebbel-Theater gerade Diedrich Diederichsen im Gespräch mit René Pollesch sein neues Buch, „Über Pop-Musik“, vorstellte, rotzten in der Cuvrystraße im Lido Chuckamuck ihre Jungsspaßmusik auf die Bühne in einem nur leidlich unterhaltsamen, dafür sehr länglichen Vorspiel. Das Publikum aber zeigte sich tolerant und wollte die Berliner Band gar nicht aus dem Saal scheuchen. Geduldig wartete es auf das real thing.

Das hörte auf den Namen King Khan & The Shrines, gerade auf Tour zum aktuellen Album „Idle No More“. Vorneweg King Khan, der Zeremonienmeister, schick mit einer Federkrone auf dem Kopf. Zwei Schlagzeuger, Bläsersatz – insgesamt sammelten sich neun Musiker auf der Bühne, die im ausverkauften Lido gleich vom Fleck weg klarmachten, dass es schon gut ist, mal über Pop zu reden, und manchmal halt noch besser, den Pop auch zu machen. Am besten in so einer verschärften Form, wie ihn die Band auf die Bühne schmetterte, mit Liedern, so messerscharf wie Jefferson Airplane, manchmal so gewaltig wie The Who, und immer mit der Sweet Soul Music, die sich noch nicht mal neben einem Otis Redding verstecken müsste.

Tatsächlich ist der einzige Grund, wieso die Shrines einst nicht zum Monterey Pop Festival (wo die ja alle da waren) nicht eingeladen wurden, ein Geburtsfehler: weil dieser King Khan halt erst ein Jahrzehnt später, 1977, in Montreal geboren wurde. Und natürlich ist der Sound des indokanadischen, seit Langem in Berlin lebenden Musikers bis in die Knochen retro und damit nur ein weiterer Soundtrack zu „Retromania“, dem Buch von Simon Reynolds, in dem der Musikkritiker beschreibt, wie sich der Gegenwartspop mit den Wiederaufführungen von musikalischen Vergangenheiten in der Retro-Schlaufe verfangen hat.

Aber erstens kommt es immer noch darauf an, wie man das dann macht. Und zweitens ist man eben in Sachen Swing, Spannung und Sexyness musikalisch weiterhin am besten in den Sechzigern aufgehoben, so wie sie King Khan am Dienstag im Lido predigte. Derart agitiert ließ man sich den Pop mit seinen Sehnsüchten, und sei es nur die nach einer schieren Motorik, dass sich mal was bewegte im Zappeln und Zucken mit der Menge im Saal, gern erklären.

King Khan schaffte sich wie ein James Brown, er kreischte, schrie und säuselte, hatte das bereitwillige Publikum im Griff, ließ es mal auf dem Boden kauern und dann erlösend wieder aufspringen. Den kompletten Saal. Ja, Kindergeburtstag. Und eben einfach eine große Show.

Gar nicht so leise meinte man dabei immer in einer Grundspur noch dieses alte Lied von Eric Burdon zu hören, der ja einst dabei war in Monterey und der es gehört hat, wie da eine Religion geboren wurde, „down in Monterey“. Außerdem singt Burdon in diesem Lied auch: „If you wanna find the truth in life/ Don’t pass music by/ And you know/ I would not lie …“ Wer aber wollte den alten Mann der Lüge bezichtigen. Gern wollte man es glauben, das mit der Musik und der Wahrheit und vielleicht sogar der Religion, die uns aus den Sechzigern zur Verwahrung weitergereicht wurde. Wenigstens ein Konzert lang, mit King Khan & The Shrines. THOMAS MAUCH