Vom Küchenkabinett auf den Senatssessel

Sie lebten in derselben Wohngemeinschaft in der Gneisenaustraße, später trennten sich ihre politischen Wege. Kommt es nach der Wahl am Sonntag aber zu Rot-Rot-Grün, könnten sich Harald Wolf (Linkspartei.PDS) und Volker Ratzmann (Bündnis 90/Grüne) gemeinsam am Senatstisch wiederfinden

„Harald Wolf war immer der Faulste von allen. Trotzdem ist er am Ende der Chef“

VON UWE RADA

Immer wenn in Berlin Wahlen vor der Tür stehen, kommt die Zeit der Biografen. Man sieht plötzlich alte Fotografien altbekannter Gesichter in den Zeitungen, auf denen selbst dem CDU-Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger etwas Wagemutiges anhaftet. So ist das halt in einer Gesellschaft, die mit ihrer rebellischen Vergangenheit Frieden geschlossen hat.

Eine Adresse aber verschließt sich nach wie vor dieser Art der Inventarisierung – die Gneisenaustraße 111 in Kreuzberg. Das liegt nicht nur daran, dass die „legendäre“ Wohngemeinschaft erst vor wenigen Wochen aufgelöst wurde. Auch das Personal der Kreuzberger Polit-WG ist alles andere als reif fürs Museum. Gut möglich sogar, dass zwei der ehemaligen Wohngenossen demnächst am Senatstisch sitzen: Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) und der grüne Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann.

Erst neulich hat der Tagesspiegel die beiden Mitbewohner von einst zum Gespräch geladen. Viel Lustiges erfuhr man da, zum Beispiel, dass ein Wirtschaftssenator nicht unbedingt mit Hauswirtschaft vertraut sein musste. Früher habe Harald Wolf lieber Thesenpapiere formuliert, ließ Ratzmann durchblicken. Dass das Gespräch dennoch nicht zum Nostalgietrip wurde, lag am politischen Auseinanderleben der WG-Mitglieder nach dem Fall der Mauer. Schließlich gehörten zu den Ex-WG-Bewohnern nicht nur Grüne wie Ratzmann und Linksparteiler wie Wolf, der Ex-Grüne. Mit von der Partie war auch Michael Prütz, der heute für die WASG Wahlkampf gegen beide macht. Die Gneisenaustraße 111 ist damit auch ein Spiegel der Westberliner Linken.

Als im Herbst des Jahres 1988 der Internationale Währungsfonds in Berlin tagte, war die Szene noch geschlossen. Alternative und Autonome demonstrierten gemeinsam gegen den Imperialismus – und unterstützten die Brüder und Schwestern aus dem Osten, vor denen die IWF-Tagung ebenfalls nicht Halt machte. Dann fiel die Mauer, und plötzlich wurde alles anders. Volker Ratzmann sagt es heute so: „Die alten SED-Kader in ihrem Bundjacken und die Leute aus der SEW, die die DDR verteidigten (…), mit diesen Leuten kann ich doch nicht für Grund- und Menschenrechte kämpfen.“ Dagegen meint Harald Wolf: „Wir haben uns als Partei intensiv auseinandergesetzt mit den unterschiedlichen Milieus. Und wir haben durch unsere Auseinandersetzung dazu beigetragen, dass Ost und West zusammengewachsen sind.“

Es war also einmal mehr die DDR, die die Westberliner Linke beschäftigte – und es noch bis heute tut. Damals, in den Wochen nach dem Fall der Mauer trennten sich die politischen Wege von Ratzmann und Wolf. Bis zur möglichen Wiedervereinigung am Kabinettstisch. Senatssprecher Günter Kolodziej wohnte zeitweilig übrigens auch in der Gneisenaustraße 111.

Und Michael Prütz? Zum WASGler gehen Wolf und Ratzmann gleichermaßen auf Distanz. Doch die beruht auf Gegenseitigkeit. „Weder Grüne noch PDS haben mit der sozialen Realität der Ausgegrenzten zu tun“, sagt Prütz, selbst einmal Mitglied bei den Grünen und der PDS. Was aber, wenn Wolf und Ratzmann in den Senat kommen? „Harald Wolf war immer der Faulste, und trotzdem ist er damit durchgekommen“, lacht Prütz. „Wenn er mit Ratzmann im Senat sitzt, werden sich beide hervorragend verstehen. Am Ende aber wird Harald der Chef sein.“