Leichte Übung für den netten Herrn Professor

AFD Parteichef Lucke muss bei den Wirtschaftsgesprächen keine ernste Kritik fürchten

Draußen vor dem Weinkeller unter den S-Bahn-Gleisen stehen vier junge Leute um die 20, halten ein Plakat und ein Stoffbanner in den Händen. „Kapitalismus und Homophobie sind keine Alternative“ steht darauf. Hinter der Tür zum Weinkeller wird bei den Berliner Wirtschaftsgesprächen wenig später Bernd Lucke referieren, Chef der eurokritischen Partei Alternative für Deutschland, kurz AfD. Drinnen im Weinkeller, unter gut 45 Zuhörern, ist die Skepsis weit geringer als draußen vor der Tür. Applaus gibt es vor allem, als einer im Saal Lucke Erfolg bei der Europawahl am 25. Mai wünscht.

Er hat ein Vorspiel gehabt, dieser Vortrag. Zwei Mitglieder des Berliner Wirtschaftsgespräche e. V.traten aus Protest gegen den Lucke-Auftritt aus dem Verein aus, darunter der SPD-Parlamentarier Lars Oberg. Der frühere schwäbische SPD-Spitzenpolitiker Dieter Spöri als Moderator sagt dagegen, man dürfe neuen Phänomenen nicht durch Ignorieren und Ausgrenzen begegnen, man wolle sich anhören, was die AfD zu sagen hat.

Sachlich-locker, nüchtern

Und das tut Lucke gut eine halbe Stunde lang, konzentriert auf den Euro und die AfD-Forderung, finanzschwache EU-Länder aus dem Währungsverbund auszuschließen. Die Wortwahl ist sachlich-locker, der Vortrag frei, Lucke gibt den nüchtern analysierenden Wirtschaftsprofessor aus Hamburg, der Demokratiedefizite bei Zentralbank und Rettungsschirm feststellt.

Es gibt gut ein Dutzend Fragen, nur wenige wirklich AfD-kritische, und nichts zu den Dingen, die die jungen Leute vor der Tür Lucke vorhalten – auch nicht zu seinen als schwulenfeindlich gewerteten Worten zum Coming-out von Exfußballer Thomas Hitzlsperger, von denen Lucke auf der AfD-Internetseite schreibt, sie seien nicht homophob. Im Saal ist stattdessen von Interesse, wie das nun sei mit dem Demokratiedefizit in seiner eigenen Partei. Der Spiegel hatte berichtet, Lucke wolle Funktionäre entmachten und 300 Teilnehmer für den Parteitag auslosen lassen. Das sieht Lucke anders. „Die innerparteiliche Demokratie bei uns ist vorbildlich und viel besser als bei den Altparteien“, sagt er. Und das mit dem Losen sei „völlig verzerrt dargestellt worden“ und nicht weiter verfolgt worden.

Moderator Spöri, in den 90ern Vizeregierungschef in Baden-Württemberg, will Lucke das Wort „Altparteien“ ankreiden – so hätten die Nazis ihre Gegner genannt. Er macht es Lucke leicht, einen lockeren Konter dagegen zu setzen: Nicht die Nazis, die Grünen hätten von „Altparteien“ gesprochen, „als sie noch jung waren.“

Es klingt ja auch vieles so harmlos, was Lucke von sich gibt: Er will, dass das Europaparlament den Kommissionspräsidenten nicht nur wählt, sondern auch vorher aussuchen darf. Seine Partei solle von rechtspopulistischen Gruppen Abstand halten und möchte mit ihnen im Europaparlament nicht zusammenarbeiten.

„Für mich ist es unerträglich, dass Herrn Lucke hier eine Plattform für seine intoleranten, homophoben und reaktionären Positionen geboten wird“, hatte SPD-Mann Oberg seinen Vereinsaustritt begründet. Falls Lucke die dabeihatte – bei den gut gekleideten Männern und wenigen Frauen der Wirtschaftsgespräche musste er sie nicht auspacken: Applaus gab es auch so – oder gerade deshalb.

STEFAN ALBERTI