Splitter an die Schikane

Die Wahrheit-Sprachkritik: Die spinnen, die Blickänderer auf die Welt

Wer seinen Lebensunterhalt als Autor bestreitet, sollte die Sprache pfleglich behandeln

Auf scharfe Kritik ist eine hier vor ein paar Monaten veröffentlichte Kritik an brutalen Grammatikfehlern scheinbar deutschsprachiger Journalisten gestoßen (Die Wahrheit vom 2. Mai 2006): Es sei kleinkariert, wurde gemeckert, sich über so etwas aufzuregen; die Leser würden schon verstehen, was in den Texten gemeint sei, auch wenn ein Autor das, was er meine, nur stümperhaft formulieren könne.

Es wäre interessant, die Mimik solcher Kritiker zu studieren, wenn sie für gutes Geld das Anrecht auf einen Logenplatz im Opernhaus erworben hätten und dann, wider Erwarten, die „Zauberflöte“ von einem unmusikalischen Kretin auf dem Kamm vorgeblasen bekämen. Die Melodien könnten sie vielleicht erraten, aber zufrieden wären sie wahrscheinlich nicht so recht.

Wer seinen Lebensunterhalt als Autor zu bestreiten versucht, von dem darf man auch verlangen, dass er die Sprache etwas pfleglicher behandelt als die taz-nrw, die am 15. Mai 2006 berichtete, die Grünen hätten einen „Abschiebestopp nach Guinea“ gefordert. Grob angepeilt hatte der Verfasser die Wiedergabe der Forderung, die Abschiebung Asylsuchender nach Guinea zu stoppen. Zu Papier gebracht hatte er die vollkommen blödsinnige Forderung eines Stopps „nach“ Guinea.

Ebenso wurschtig verfuhr das Deutschlandradio, als es von der „Vorbereitungsphase auf die WM“ fabulierte. Eine Phase „auf“ die WM hat nicht stattgefunden. Und trotzdem brabbelten die Reporter von einer „Vorbereitungsphase auf die WM“ und nicht, wie es sich gehört hätte, von einer Phase der Vorbereitung auf die WM.

Als der Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker Ende Mai 2006 in der Süddeutschen Zeitung von der „Illusion einer Rückkehrchance in die verlorene Heimat“ quasselte, meinte er wahrscheinlich das Illusorische der Chance einer Rückkehr in die Heimat und nicht die Illusion einer Chance „in die Heimat“. Chancen haben keine Illusionen und können auch nicht „in die Heimat“ zurückkehren. Wie sollte, bei Licht betrachtet, eine solche „Chance in die Heimat“ aussehen?

Ihren Austritt aus der Jury des Heinrich-Heine-Preises begründeten Sigrid Löffler und Jean-Pierre Lefebvre unter anderem damit, dass Peter Handke zeitlebens „an einer bewussten Blickänderung auf die Welt“ gearbeitet habe. Ach ja, die gute alte Blickänderung „auf“ die Welt. Wäre Sie doch eine Änderung des Blicks auf die Welt gewesen oder, besser noch, eine Veränderung des Blickwinkels. Von einer „Blickänderung auf die Welt“ können nur Juroren schwärmen, die wahrlich dazu berufen sind, Sprachkunstwerke zu beurteilen.

Nicht fehlen darf in diesem Zusammenhang die Plaudertasche Matthias Matussek: „Es gibt ein positives Identifikationsinteresse mit unserem Land.“ Die Erfindung des Begriffs „Identifikationsinteresse“ ist bereits eine reife Leistung des Spiegel-Kulturchefs. Genial ist allerdings erst der Einfall, uns Deutschen ein Interesse „mit“ unserem Land zu bescheinigen.

Nachdem es einen Stopp „nach“ Guinea, eine Phase „auf“ die WM, eine Chance „in“ die Heimat, eine Änderung „auf“ die Welt und ein Interesse „mit“ Deutschland gegeben hatte, fügte das Deutschlandradio dem Katalog des Blödsinns am 16. August 2006 die „Einflussmöglichkeiten auf die Hamas“ hinzu. Ja, das wäre praktisch, wenn irgendwer Möglichkeiten auf die Hamas hätte!

Fünf Tage danach schulterte der Schlaumeier Matthias Matussek die presserechtliche Verantwortung für die Nachricht, dass Günter Grass in seiner Autobiografie „Erinnerungssplitter an die Schikane der Ausbilder“ präsentiert habe. Die Möglichkeiten „auf“ die Hamas waren ja schon allerhand. Aber Splitter „an“ die Schikane? „Au weh geschrien“ (Eugen Egner).

Ob es wohl überhaupt noch irgendwo Journalisten mit Erinnerungssplittern „an“ eine Zeit gibt, in der es als schimpflich galt, die Wörtchen „nach“ und „auf“ und „in“ und „mit“ und „an“ zu misshandeln?

GERHARD HENSCHEL