Die Kompromisslose

Schriftstellerin, journalistische Ikone, Kämpferin: Oriana Fallaci ist tot. Lange Zeit galt sie als schärfste Interviewerin der Welt. Vor Chomeini warf sie den Schleier ab. Nach den Anschlägen vom 11. September verriet sie allerdings ihre eigenen Werte

VON BETTINA GAUS

„Ach.“ So werde einst sein Nachruf aussehen, glaubte Kurt Tucholsky. Er hatte bestimmt recht. Irgendjemand sagt bei einer Todesnachricht immer „Ach“. Oft man selber.

Oriana Fallaci ist gestorben. „Ach.“ Das ist eine sehr nützliche Silbe. Was können diese drei Buchstaben nicht alles ausdrücken: Bedauern. Überraschung. Wehmut. Melancholie. Sogar Bestürzung. „Ach“ ist eine Reverenz vor dem Leben und eine Verneigung vor dem Tod. Etwas aber drückt das Wort nicht aus, niemals. Trauer.

Keine Trauer also um die Schriftstellerin und Journalistin, die am Donnerstag im Alter von 76 Jahren in ihrer Heimatstadt Florenz an Krebs gestorben ist? Wie ist das möglich? Immerhin ist doch Oriana Fallaci mein Vorbild gewesen. Jahrelang. Es ist ja gar nicht so leicht, Menschen zu finden, die man für sich als Vorbilder akzeptieren kann und will.

Aber so wie sie wäre ich als junge Frau gern gewesen – oder so hätte ich zumindest werden wollen. So schreiben zu können! So furchtlos zu sein! So unabhängig von Konventionen! So unbeeindruckt von Äußerlichkeiten, von der männlichen Reaktion auf ihre weibliche Attraktivität! So tapfer. So frei.

Was für ein Lebenslauf. Schon als Kind hatte Oriana Fallaci – geprägt vom Vater – Widerstand geleistet: dem Faschismus unter Mussolini. Lange galt die Italienerin, die auch als Kriegsberichterstatterin in Vietnam ihren Mut und ihren Intellekt unter Beweis gestellt hatte und später (dennoch?) in den USA ihre Wahlheimat fand, als die schärfste Interviewerin der Welt. Sie hat sie alle befragt, die Mächtigen. Denen sie sogar dann zutiefst misstraute, wenn diese Macht demokratisch legitimiert war. Jassir Arafat, Willy Brandt, Golda Meir, Haile Selassie, Indira Ghandi.

1972 sprach sie mit Henry Kissinger über den Vietnamkrieg: „Finden Sie nicht, Dr. Kissinger, dass es ein sinnloser Krieg war?“ – „Dem kann ich zustimmen.“ Der ehemalige US-Außenminister bezeichnete das Interview später als das „verhängnisvollste“ Gespräch, das er jemals mit jemandem von der Presse geführt hatte. Oriana Fallaci hat es vermocht, ihre Gesprächspartner zu unfreiwilligen Bekenntnissen zu veranlassen.

Jetzt ist sie tot. „Ach.“ Gestorben ist eine Frau, deren Mut sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen richtete. Ihr „Brief an ein ungeborenes Kind“, veröffentlicht in den 70er-Jahren auf dem Höhepunkt der Abtreibungsdebatte, ist ein Monolog, der all die Zerrissenheit widerspiegelt, die eine unerwünschte Schwangerschaft mit sich bringen kann. Es ging darin gar nicht um einen Abort. Dennoch hat das Buch in der westlichen Welt mehr Verständnis für Frauen geweckt, die eine Abtreibung für unvermeidlich hielten, als fast jede andere Publikation.

Die Fähigkeit, Realität und Fiktion zu verbinden, war ein besonderes Talent von Oriana Fallaci. 1979 erschien „Ein Mann“: Eine Mischung aus Roman und Reportage über Leben und Tod des griechischen Dichters und Widerstandskämpfers Alexandros Panagoulis, der drei Jahre ihr Lebensgefährte war. Folterszenen. Qual. Schmerz. Schwer erträglich – sogar für Lesende.

Warum ein solches Buch ein Bestseller wurde? Vielleicht deshalb, weil die zentrale Botschaft so ungeheuer viel Mut machte: dass sich nämlich Würde auch unter unwürdigsten Bedingungen bewahren lässt. Vielleicht auch deshalb, weil das Buch eine der schönsten Liebesgeschichten der Weltliteratur ist.

Die Verfasserin dieses Dokuments der Menschlichkeit ist also tot. „Ach.“ Keine Trauer? Nur Wehmut? Tot ist die Frau, die es 1979 gewagt hat, im Gespräch mit dem iranischen Revolutionsführer Ajatollah Chomeini den Schleier abzuwerfen, der in ihren Augen für Demütigung und Unterdrückung stand. Ihr Widerstand habe ihm nach langem Zögern ein Lachen entlockt, berichtete sie später. Sein Sohn habe ihr erzählt, dass er seinen Vater niemals zuvor habe lachen sehen.

Oriana Fallaci konnte Menschen für sich einnehmen – nicht etwa durch eine Bereitschaft zum Kompromiss, sondern offenbar vor allem durch ihre Kompromisslosigkeit. Eine sehr seltene Gabe. Gegen Ende ihres Lebens scheint sie dieser Gabe mehr vertraut zu haben als ihrer Fähigkeit, auch Widersprüche und Ambivalenzen ertragen zu können.

Sie hat Partei ergriffen. Zeit ihres Lebens. Für Unterdrückte, für Schwache, für all diejenigen, die jedes Risiko von zivilem Ungehorsam in ihren Augen gerechtfertigt haben. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sie ein letztes Mal Partei ergriffen. Aber dieses Mal nicht mehr für das universale Prinzip der Menschlichkeit, sondern für einen bestimmten Blick auf die Welt. Der plötzlich sehr viel mehr mit Ausgrenzung als mit Integration zu tun hatte.

„Moslems vermehren sich wie Ratten“, befand sie. Gefahr drohe nicht nur von islamistischen Terroristen, sondern generell von Immigranten, die „uns ihre Idee, ihre Sitten und ihren Gott aufzwingen“. Europa sei auf dem Weg zum „Eurabia“ zu werden, in dem Minarette die Kirchtürme und die Burka den Minirock ersetzen würden.

Drei Polemiken, die auch als solche gemeint waren, hat die Publizistin nach den Anschlägen des 11. September veröffentlicht. Sie wollte damit ihre Werte verteidigen. In meinen Augen hat sie ihre Werte verraten. Aber hat sie das wirklich getan? Richtet sich der Vorwurf der Blindheit gegen sie – oder gegen mich? Habe ich die Ambivalenz ihrer Position früher einfach nicht gesehen – und, dem Zeitgeist folgend, für Liberalismus gehalten, was stets eine Bereitschaft zur Ausgrenzung gewesen ist?

„Wie schade, dass seine Mutter, als sie mit ihm schwanger war, sich nicht für eine Abtreibung entschieden hat“, schrieb sie über Ajatollah Chomeini. Geht das? Nein, das geht gar nicht. Wenn die Lust an der Provokation in Menschenverachtung umschlägt, dann geht es nicht mehr um unterschiedliche Interpretationen der Weltlage. Sondern eben um Werte, die nicht verhandelbar sein dürfen. Oriana Fallaci ist tot. „Ach.“