Mission: Kontrolle der Kontrolleure

PARLAMENT Die Internet- und Telekommunikationsüberwachung in Deutschland soll bis zurück ins Jahr 2001 überprüft werden

■ Da geht noch was: Wie die Washington Post berichtet, kann der US-Geheimdienst NSA sämtliche Telefongespräche eines Landes aufnehmen und 30 Tage lang anhören. Das Programm mit dem Namen Mystic sei 2009 gestartet und bereits eingesetzt worden. Welches Land betroffen war, teilte die Zeitung mit Rücksicht auf die US-Regierung allerdings nicht mit.

VON KONRAD LITSCHKO

BERLIN taz | Monatelang saß Martina Renner im Thüringer Untersuchungsausschuss zur NSU-Mordserie, befragte Verfassungsschützer, Polizisten und Politiker. Dabei hat die damalige Landtagsabgeordnete der Linkspartei vor allem eines gelernt: „Wie man mit verstockten Zeugen umgeht.“

Seit Herbst sitzt Renner im Bundestag. Ihr erworbenes Geschick wird sie gut gebrauchen können: Sie soll als Obfrau ihre Partei im nun startenden Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre vertreten. Von den dort zu ladenden Geheimdienstlern wird kaum mehr Redefreudigkeit zu erwarten sein. Trotzdem ist Renner sicher: „Auf Selbstbeschäftigung werden wir uns nicht einlassen, dafür ist solch ein Ausschuss zu aufwändig.“

Am Donnerstag soll der Ausschuss im Bundestag beschlossen werden – mit den Stimmen aller Fraktionen. Die erste Sitzung ist für Anfang April geplant. Damit beginnt ein Dreivierteljahr, nachdem der Whistleblower Edward Snowden die weltweite Massenüberwachung durch den US-Geheimdienst bekanntmachte, nun die hiesige parlamentarische Aufarbeitung.

Leicht wird das nicht. Wochenlang rangen Opposition und Koalition schon um den genauen Auftrag des Ausschusses. Vergangene Woche kam dann die Einigung: Bis zurück ins Jahr 2001 soll die „Internet- und Telekommunikationsüberwachung“ in Deutschland überprüft werden. Neben den Geheimdiensten der „Five Eyes“-Staaten – USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland – soll auch geklärt werden, wie deutsche Dienste und die Regierung „von derartigen Praktiken Kenntnis hatten, daran beteiligt waren, diesen entgegenwirkten oder gegebenenfalls Nutzen daraus zogen“.

Vor allem seitens der NSA ist keine große Zuarbeit zu erwarten. Deshalb will die Opposition gleich zu Beginn den derzeit prominentesten NSA-Kenner der Welt vorladen: Snowden selbst. Hier ist neuer Streit vorprogrammiert: Bisher sperrt sich die Koalition – aus Angst vor einem finalen Zerwürfnis mit den USA.

Noch im Januar hatte der designierte Ausschusschef Clemens Binninger (CDU) erklärt, eine Anhörung Snowdens sei überflüssig – weil „keine zusätzlichen Erkenntnisse“ zu erwarten seien. Auch Christian Flisek, von der SPD als Obmann vorgesehen, ist zurückhaltend. „Über die Zeugenliste müssen wir uns im Ausschuss gemeinsam verständigen. Das fällt leichter, wenn wir die ersten Akten gelesen haben.“

Kommt Edward Snowden?

SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Christine Lambrecht spricht sich dagegen für die Ladung aus: „Er ist ja eine der Schlüsselfiguren.“ Offen bleibt, ob der 30-Jährige am Ende nach Berlin reisen könnte – oder dem Ausschuss schriftlich antworten müsste.

Die Pläne des Grünen Hans Christian Ströbele gehen schon weiter. Er will noch weitere „NSA-Dissidenten und -Kenner“ laden: „Deren Kenntnisse gilt es im Ausschuss zu nutzen.“ Zudem planen die Grünen, die geleakten Papiere bei den Medien anzufragen, die mit Snowden kooperierten. Der Schutz der Informationsquelle sei hier kein Problem, so Ströbele: „Snowden selbst will die weitestmögliche Verbreitung dieser Informationen.“

Die Opposition zielt zudem auf die letzte schwarz-gelbe Bundesregierung. Die hatte die NSA-Affäre im letzten August bereits für „beendet“ erklärt. Es kam anders: Wenig später wurde bekannt, dass die NSA auch das Handy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abhörte. Die Grünen wollen deshalb auch Merkel vorladen. „Nur sie kann sagen, was ihr Obama nach der Ausspähung ihres Handys mitteilte“, so Ströbele. Auch Linken-Frau Renner geht davon aus, dass der Ausschuss am Ende Merkel anhören müsse. „Wir wollen erfahren, was das Kanzleramt wusste.“ Im Ausschuss sollen acht Abgeordnete sitzen: sechs der Koalition, zwei der Opposition. Dazu kommen acht Stellvertreter. Auffällig: Es sind vor allem junge, neue Abgeordnete, die in dem Gremium sitzen – nicht die altgedienten Großkopferten.

Kleine Überraschung: Für die Grünen wird nicht Ströbele Obmann, sondern sein Parteikollege Konstantin von Notz. Ströbele, der im letzten Jahr zu Snowden ins Moskauer Exil reiste, bleibt nur der Stellvertreterposten. Dem Vernehmen nach warb Innenexperte von Notz, seit 2009 im Bundestag, für sich: Ströbele habe in seiner langen Politkarriere doch bereits in mehreren U-Ausschüssen gesessen.

Recht einmütig erfolgte der Vorschlag des Ausschussvorsitzes mit dem besonnenen CDU-Innenexperten Binninger. Ärger aber gibt es um den Vize-Posten: Hier ist SPD-Mann Hans-Ulrich Krüger vorgesehen, einst Innenstaatssekretär in NRW, auch er seit Oktober im Bundestag. Die Opposition stört sich nicht nur daran, dass Krüger bei Geheimdienstthemen bisher kaum auffiel – sie reklamiert den Posten für sich. „Der Untersuchungsausschuss ist ein Instrument der Opposition“, so Linken-Frau Renner. „Es ist eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass wir auch im Vorsitz vertreten sind.“

In der Koalition wird bereits gemahnt, sich auf „inhaltliche Fragen zu konzentrieren“. „Ich hoffe, dass sich die Gemeinsamkeit, die wir beim Antrag gefunden haben, auch in der Ausschussarbeit fortsetzt“, sagt SPD-Obmann Flisek. Der Parlamentsneuling will die NSA nicht so einfach davonkommen lassen: „Selbstverständlich werden wir dort Auskünfte und eine Kooperation einfordern.“

Für SPD-Geschäftsführerin Lambrecht muss der Ausschuss am Ende auch sicherstellen, „dass im Bereich Nachrichtendienste nicht alles, was technisch möglich ist, auch angewandt wird“. Das zielt auch auf die deutschen Dienste. Vor allem die Opposition will im Ausschuss genauer erfahren, wie auch BND und Verfassungsschutz überwachen und welche NSA-Praktiken sie duldeten. „Im Kern“, so Renner, „haben die deutschen Dienste das gleiche Anliegen – so viele Daten sammeln wie möglich.“