„Wowereit ist vielen zu zynisch“

WAHLORAKEL Die Grünen profitieren von der Schwäche der anderen Parteien, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Aber verfestigt sei die Wählermeinung noch nicht

■ Der 68-Jährige ist Gründer des Forsa-Instituts. Das sieht die Grünen aktuell mit 30 Prozent vor SPD (26), CDU (16) und Linken (15).

taz: Herr Güllner, in Ihrer letzten Umfrage zur Abgeordnetenhauswahl sind die Grünen mit 30 Prozent stärkste Partei, haben seit Ende 2009 11 Prozent zugelegt. Wie ernst kann man diese Zahlen nehmen?

Manfred Güllner: Ich nehme jede unserer Zahlen ernst. Aber man muss natürlich darauf hinweisen, dass das aktuelle Stimmungen sind und noch keine sicheren Stimmen für die Grünen. Wir sind noch weit von den Landtagswahlen entfernt, die Leute fangen gerade erst an, sich eine Meinung zu bilden. Würde man die Berliner fragen, wann die Wahl ist, ich glaube, so mancher wüsste es gar nicht.

Die CDU hat seit dem Jahreswechsel 9 Prozent verloren. Sind aus Berliner CDU-Wählern jetzt Grüne geworden?

Die Wanderungsprozesse sind deutlich komplizierter. Was bei Wahlen wie bei Umfragen immer unter den Tisch fällt, sind die Nichtwähler. Da gibt es einen bedenklichen Trend, vor allem auf lokaler Ebene. Bei den meisten Kommunalwahlen geht nicht einmal mehr die Hälfte der Bürger wählen.

Und davon profitieren die Grünen?

Auf jeden Fall. Den Grünen gelingt es weitaus besser, ihre Wähler zu mobilisieren als anderen Parteien.

Also gibt es keine neugrünen Konservativen?

Das würde ich so nicht sagen. In der Tat gibt es einige, die aus dem bürgerlichen Lager umschwenken. Die sind einst von der CDU zur FDP gewandert und jetzt von beiden enttäuscht. SPD haben sie noch nie gewählt und Linke schon gar nicht. Also bleibt nur noch die Wahl zwischen Grün wählen oder gar nicht wählen.

Glauben Sie, dass sich die Gunst der Berliner Wähler grundsätzlich verschoben hat?

Ach wissen Sie, das lässt sich kaum auf Berlin runterbrechen. Berlin ist und bleibt ein Sonderfall nach der Geschichte der deutsch-deutschen Teilung.

Das sagen Sie so kurz nach den Feiern zu 20 Jahren deutsche Einheit?

Ja, ich glaube, das spielt auch heute noch eine Rolle. In der Berliner Kommunalpolitik geht es weniger um alltägliche Sachfragen und mehr um große Politik und ideologische Trennungslinien.

Und deswegen sind die Berliner unzufrieden?

Für die Berliner sind die Landtagswahlen gleichbedeutend mit Kommunalwahlen. Da geht es um ganz alltägliche Probleme, sozusagen den Laubhaufen vor der Tür. Ich glaube, dass die Berliner das Gefühl haben, die SPD kümmert sich nicht genug, Wowereit ist vielen zu zynisch geworden. Denken Sie an den letzten Winter, als er angesichts der vielen Glatteisstürze empfahl, doch Schlittschuhe anzuschnallen. Damit gewinnen Sie keine Stimmen.

Spielt beim Höhenflug der Grünen auch der Künast-Effekt eine Rolle?

Das ist schon spürbar. Frau Künast repräsentiert die Seriosität der Grünen. Das strahlt auch auf Berlin ab, gerade weil sie hier dank ihrer langen Berliner Karriere sehr beliebt ist. Aber erst wenn sie sich entschieden hat, tatsächlich als Bürgermeisterin zu kandidieren, werden die Personeneffekte deutlicher.

Zum Schluss noch eine Prognose für die Entwicklung bis zur Wahl?

Da halte ich mich eigentlich zurück, denn unsere Aufgabe ist es, den Leuten eine Stimme zu geben. Aber was man sagen kann, ist, dass die Grünen von der eigenen Stärke und der Schwäche der anderen profitieren. Und wenn es ihnen gelingt, dieses Vertrauen bis zur Wahl zu rechtfertigen, dann werden sie auch Stimmungen in Stimmen umwandeln können. INTERVIEW: MANUELA HEIM