Eine Stadt würgt den kulturellen Motor ab

Stadtentwicklung und Theater gehören zusammen. Oberhausen schickt seinen Intendanten in die Wüste. Warum?

Auch in Oberhausen muss die Zukunft trotz knappen Geldes mehr Lebensqualität bringen. Das heißt davon Abschied zu nehmen, dass Regieren Geldverteilen bedeutet. Stadtentwicklung kann hier nicht mehr mit Großprojekten verbunden werden, zu erkennen am Scheitern von O-Vision. Der größte Fortschritt wird heute mit Gratis-Werten erzielt, die man in Synergie bringt. Eine anspruchsvolle Stadtentwicklung sattelt oben drauf. Gratis-Werte sind historische Orte und Denkmäler, die Schokoladenseite der Stadt. Das Arbeitslosen-Potenzial könnte genutzt oder Wohnstraßen systematisch in Sackgassen umgewandelt werden. Im Konzept einer intelligenten Kreativität kann die wichtigste Rolle das städtische Theater spielen. „Wenn man etwas schöpfen will“, sagt der Autor Eileen Gray, „muss man zuerst alles in Frage stellen“. Neugier führt zu Kreativität in der Gesellschaft. Warum sich also von der kommunalen Bühne verabschieden?

Das Theater in Oberhausen hat in zehn Jahren eine Tradition gebildet. Es spielt nicht nur in seinem Gebäude, auch im Rheinischen Industriemuseum, in Kirchen, auf Plätzen und im Gasometer, einem der Kultur-Monumente der Region. Hier gab es zuletzt Tankred Dorsts „Parzival“. Der einfallsreiche Intendant Johannes Lepper plant im phantasmagorischen Raum die „Orchesterprobe“ von Frederico Fellini aufzuführen. Europa würde dann auf diese Stadt schauen. Das Theater macht ausgezeichnete Arbeit an den Schulen, kann als Forum für Diskussionen weiter entwickelt werden. Es ist ein wichtiger Motor der Stadtentwicklung, wie es ihn bis dahin nicht gab.

Doch über Nacht schlug ihm die Stadt eine Keule in den Rücken. Der Vertrag des Theaterintendanten werde nicht verlängert, sagt Kulturdezernent Apostolos Tsalastras. Warum? Das erklärte er nicht. Und so stellt das angekündigte Vertragsende nun die Stadtentwicklung tief greifend in Frage. Es gefährdet einen der wichtigsten Motoren. Hinzu kommt, dass diese Maßnahme auf die unöffentlichste Weise durchgezogen wird, hinter verschlossenen Türen ohne Diskussion. Ein veritabler Stadtstreich?

Zur Begründung wurde behauptet, der Intendant sei in der Stadt nicht genügend präsent. Dazu war er in der Presse aufgefordert worden, öfter mit Leuten Bier zu trinken. Doch seit wann muss ein Intendant in einem städtischen Nobelklub vertreten sein? Im Vergleich ist Oberhausen der „deutsche Meister“ in Präsenz. So viel und so weit gehend ist kein anderes Theater in seiner Stadt tätig. Rasch schlossen sich die politischen Reihen. Ein Polit-Szene-Kenner: „Es gibt zwei Vorbeter, die anderen folgen blind. Nichts spielt sich mit Argumenten ab.“ Bürger machten den Fall zum öffentlichen Skandal. Ein Komitee gründete sich. In einer Woche kamen rund 500 Unterschriften zusammen, doch Tsalastras redet sich weiter mit Sprüchen heraus.

Zur ersten Premiere der Saison – Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ – wurden auch Flugblätter verteilt und Unterschriften gesammelt. Der Beifall nach dem Stück war eine Demonstration gegen die blasse Oberhausener Kulturpolitik. Vom über 50-köpfigen Stadt-Parlament ließ sich niemand sehen. Theater-Gegner dürfen nun sogar behaupten, dass „wir“ kein Theater brauchen – man könne ja in eine andere Stadt fahren.

Wie eine Straßenräuberei in finsterer Nacht überfällt dies alles einen Theatermann, der sich keine Feinde macht, lieber auf seine Kunst konzentriert. Wurde er dafür nicht vor einigen Jahren geholt? Zu den erbärmlichen Vorwürfen gehört, Lepper liefe öfters vor oder nach der Probe wie im Trance durchs Haus und sähe niemanden. Damit sind wir am Kern: Es gibt keine Wertschätzung des Geistes von Künstlern und Intellektuellen. Jedermann glaubt, auf diesen Menschen herumtrampeln zu können. Aber für die Repräsentation 2010 werden sie noch gebraucht. Der Oberhausener Eklat ist einfach erklärt: Der Intendant ist einigen Politikern nicht so um den Bart gegangen, wie sie sich das erwarten. In der Bewegung „Johannes Lepper soll bleiben!“ entsteht jetzt der Gedanke, zur nächsten Kommunalwahl mit einer eigenen Liste samt OB-Kandidaten anzutreten. So will man die Hinterzimmer endgültig durcheinander bringen. Das würde Oberhausen gut tun – und der Stadtentwicklung. ROLAND GÜNTER

Der Autor ist Oberhausener Kulturhistoriker, Pionier bei der Rettung von Industriebauten und 1. Vorsitzender des Deutschen Werkbunds NRW.