Idealismus und Kreativität

Baugemeinschaften bieten unbezahlbare Vorteile gegenüber Bauträgerprojekten, und die Kosten können dank nachhaltiger Konzepte erheblich gesenkt werden. Doch in Berlin fehlen noch die Strukturen, um solche Gemeinschaftsprojekte zu fördern

VON HARALD ZENKE

Anknüpfend an Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit, wie die „Behutsamen Stadtentwicklung“, oder an die Tradition der Westberliner Kulturprojekte, wie die ufaFabrik, entwickeln sich heutzutage neue Formen des gemeinschaftlichen Planens und Lebens. Die jungen Baugemeinschaften in Johannisthal und Schöneweide, an der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg sowie in Kreuzberg und Mitte sind Beispiele dieser Entwicklung. Dass viele weitere in der Planungsphase oder kurz vor der Realisierung stehen, zeugt vom aktuellen Interesse – sowohl der Planer als auch der Kunden – an diesen Experimenten. In familienfreundlichen Bezirken wie Mitte und Prenzlauer Berg hat inzwischen sogar ein Gerangel der Entwickler um potenzielle Baugemeinschaftsgrundstücke begonnen.

Dennoch wird diese Entwicklung auf Verwaltungsebene noch nicht ernst genug genommen, und die Anstrengungen der Initiativen laufen manchmal ins Leere. Ein jüngstes Beispiel ist das Ausschreibungsverfahren am Schlachthofgelände Eldenaer Straße in Friedrichshain: Obwohl Baugemeinschaften explizit aufgefordert wurden, sich auf Grundstücksplanungen hin zu bewerben, wurden schließlich nur Bauträger vom Entwicklungsträger berücksichtigt.

Dabei bieten Baugemeinschaften einige unbezahlbare Vorteile gegenüber den Bauträgerprojekten. Die gemeinsame Planung ermöglicht die Senkung der Gesamtbaukosten bis zu 25 Prozent – dank nachhaltiger Konzepte. Die anfänglichen Mehrkosten für die ökologische Haustechnik machen sich durch geringe Betriebskosten schon nach wenigen Jahren bezahlt, ganz abgesehen vom Nutzen für unsere Umwelt. Die künftigen Anwohner können zudem bei Gestaltung und Grundriss des Hauses oder ihrer Wohnung maßgeblich mitwirken, gemeinsam werden auch weitere Aspekte des werdenden Gemeinschaftslebens beschlossen.

Das Zusammenspiel zwischen den Wurzeln und der Sonne hält den Baum am Leben. Ähnlich, profitieren die freiwillig gebildeten Baugemeinschaften vom Wissen und den Fähigkeiten ihrer einzelnen Mitglieder. Bei der Zusammensetzung der Bau- oder Kulturgemeinschaften kommen ein hoher Wissensgrad durch kompetente Architekten und ein enormes kreatives Potenzial durch die Gruppe zusammen. Wie beim Baum ist auch in den Genossenschaften das, was wir sehen, nur ein Teil vom Ganzen. Ein wesentlicher Teil, der unsichtbar bleibt, ist das Engagement der Einzelnen, die lange, bevor das Haus steht, zusammengearbeitet haben. Die Gemeinschaftsprojekte entstehen durch Idealismus und kreative Tatkraft.

Doch um Gemeinschaftsprojekte zu fördern, fehlen in Berlin noch immer grundlegende Strukturen, wie etwa eine zentrale Beratungsstelle, ein unsichtbares Wurzelwerk als Basis, das die Projekte zum Vorschein bringt und sichtbar macht. In anderen deutschen Städten wie München, Tübingen, Freiburg und Hamburg ticken die Uhren etwas anders. Ein Besuch loht sich zum Beispiel in Tübingen, wo dank einer ausgezeichneten Stadtentwicklungspolitik die Vorteile baugemeinschaftlichen Wohnens bereits zu sehen und zu spüren sind. Die Hamburger Verwaltung hat indes eine „Agentur für Baugemeinschaften“ eingerichtet, die als Ansprechpartner für sich in der Gründung befindenden Initiativen fungiert. Den Gemeinschaften stehen in den Anfangsphasen nämlich diverse Grundprobleme bevor: Finanzierungs- und Grundstücksfragen, die Festlegung einer Rechtsform und eines geeigneten Projektsteuerers, die Suche nach Notaren und engagierten Architekten sowie nach dem Kontakt zu laufenden Projekten, denen man sich anschließen könnte.

Der Lohn für diese teilweise mühevollen Aufgaben sind lebendige, familienfreundliche Stadtquartiere, in denen die Menschen gerne leben und ihr direktes Umfeld mitprägen. Auch Berlin hat die Bedeutung der Baugemeinschaften für eine vielfältige und bunte Stadtstruktur erkannt, wobei ein eigener Weg, insbesondere für deren Unterstützung, noch gefunden werden muss. experimentcity hat Fundamente geschaffen, an Ideen und Tatkraft fehlt es nicht, die experimentdays zeigen dies. Was noch fehlt, ist die finanzielle Unterstützung der anstehenden Arbeit. Hier würde ich mir wünschen, das der Senat diesen Prozess nicht nur ideell, sondern auch finanziell am Leben erhalten würde. Ein Netzwerk, das etwas auf die Beine stellen kann, ist geschaffen. Offen bleibt die Frage, wie es weitergeht und welche Früchte der Baum tragen wird.

Der Autor arbeitet im Planungsbüro BHZ und initiierte die Baugemeinschaften Lebenstraum Johannisthal & Morgensonne – wohnen für jung und alt