Über das Unvollkommene kichern

Er verführt uns, amüsant, provozierend, belebend: In seinem Erzählungsband „Mikado“ zeigt sich der Schriftsteller Botho Strauß von seiner charmanten Seite und lässt die Verachtung des Kulturkritikers für diesmal stecken. So entspannt man sich bei schön erhaschten Details und erstaunlichen Erfindungen

Ein Mann erkennt, dass die Ehefrau seines verhassten Dichterkollegen auch seine Frau hätte werden könnenFreuen kann sich auch der heikle Strauß-Leser, der bisher oft nur kopfschüttelnd vom mächtigen Einschlag des Heiligen las

von DIRK KNIPPHALS

Der Ton lässt einen aufhorchen. Hat sich da etwas bewegt? Ist da vielleicht sogar etwas aufgesprungen? Seit vielen Jahren schon umgibt Botho Strauß seine oft reichlich geschraubten Satzkonstruktionen mit herrischer Abwertung der Gegenwart – ein in der Kulturkritik eingeübtes Verfahren: So kann man sich selbst gut als große Ausnahme positionieren, deren Durchblick kaum einer folgen kann. Zuletzt hat Strauß in dem Streit um Handkes Heinepreis die Genies verteidigt; selbst ihr Irren könne so groß sein, dass die breite Masse lieber das Maul halten soll. Dass er reaktionär ist, kann man diesem Erzähler seit langem vorwerfen. Mit Blick auf seinen Stil lässt sich ein weiterer Befund konstatieren: dass er verkrampft ist. Für einen Schriftsteller wiegt dieser Vorwurf bekanntlich viel schwerer.

Nun aber „Mikado“, der gerade erschienene Band mit 41 kurzen Erzählungen, die man (oder wie ist der Titel gemeint?) so vorsichtig aufheben soll wie die 41 Stäbe eines Mikadospiels. Zu lesen ist von überraschenden Begebenheiten, von rätselhaften Begegnungen, von Traumlogiken, Betrugsszenarien, von Momenten der inneren Bewegung und schweren Einschlägen des Schicksals. Ein Reigen an Motiven, der das Zwischenmenschliche gelegentlich ins Wunderliche driften lässt.

Für Strauß-Leser ist das alles nicht neu. Nur ist es erstaunlich locker aufgeschrieben, mit geraden Sätzen und mal nicht so in den Vordergrund gespielter Verachtung vor dem Heutigen. Die erste und titelgebende Geschichte handelt davon, dass einem Mann seine Frau entführt wird; nach Zahlung eines Lösegeldes erhält er eine ganz andere Frau zurück. Ein hingetuschtes Novellenmotiv, in das Strauß mit wenigen Strichen immer noch eine Wendung einbauen kann. Eine andere Geschichte spielt in einem Blumengeschäft. Ein Mann erkennt, dass die Ehefrau seines verhassten Dichterkollegen bei einer anderen Fügung des Schicksals auch seine Frau hätte werden können, und verstummt. Solche Episoden kann Botho Strauß in diesem Band stehen lassen, ohne sie mit Bedeutsamkeit aufzuladen.

Manchmal verlässt er sich zu sehr auf poetische Wallungswerte. Etwa wenn von Gauklern die Rede ist, deren Figuren sich „umstülpen“, wenn sie sich im Liebesspiel „vereinen“, statt geradeheraus Sex zu haben. An manchen Stellen rutscht Strauß auch in erzählerische Regression ab und versucht einen Zustand vor der Psychologie zu erreichen, indem er sein Heil in Märchen- und Fabelmotiven sucht – was oft im Appellativen bleibt. Aber daneben stehen schön erhaschte Details und eine erstaunlich erfinderische Fantasie im Ausdenken von immer neuen Figurenkonstellationen.

Bei aller Doppelbödigkeit – Botho Strauß hatte offenbar Spaß daran, mal vorzuführen, was er kann. „Ein Autor kommuniziert nicht mit seinem Leser“, hieß es vor zwei Jahren in „Der Untenstehende auf Zehenspitzen“. „Er sucht ihn zu verführen, zu amüsieren, zu provozieren, zu beleben.“ Dieses Programm umzusetzen, gelingt Strauß in „Mikado“ ganz gut.

Attraktiv ist das Buch natürlich sowieso für bedingungslose Strauß-Verehrer, die in der Literaturszene immer noch eine agile Pressure Group bilden. Ist es für sie doch auch mal wieder ganz schön, diesen Autor zu lesen, ohne Gegenwartsverachtung mitnehmen zu müssen. Freuen können sich aber auch heikle Strauß-Leser, die über seiner Lektüre oft nur kopfschüttelnd saßen – glaubt er wirklich an den mächtigen Einschlag des Heiligen –, aber auch nie ganz von ihm lassen wollten, weil einzelne Episoden, manchmal auch nur Begriffswendungen und Sätze einen doch immer wieder erwischten.

Zum Beispiel: „Sie beide waren immer bereit, über die Unvollkommenheit der Liebe gemeinsam zu kichern“ – kann man prägnanter eine erwachsene Restutopie der Liebe beschreiben? Der Satz stammt aus einer dieser vielen schönen Passagen, in denen Strauß in „Paare Passanten“ Szenen aus dem Zusammenleben geschildert hat. „Mikado“ nun ist ein Buch, mit dem man über weite Strecken gemeinsam über die Unvollkommenheit des Bedeutungswollens in der Kunst gemeinsam kichern kann, Rückfälle nicht ausgeschlossen. Was keine Flucht in den Unernst bedeutet. Im Gegenteil. Den Schmerz eines „schneidigen Intellektuellen“, der nach Scheidung und Trennung von seinem Kind seine Begriffe verliert, kann Strauß in der Erzählung „Verwirrung“ zum Beispiel sehr eindringlich ausdrücken.

Eine Wende? Eine Kehre? Eine Hinwendung zu entspannteren Formen? Vielleicht der Beginn eines Alterswerks? (Strauß ist 62 Jahre alt.) Für Antworten ist es nach diesem einen lichten Buch noch zu früh. Ein Anfang aber in so eine Richtung könnte gemacht worden sein.

Botho Strauß: „Mikado“. Hanser Verlag, München 2006. 176 Seiten, 17,90 €