Hessens SPD-Basis von links erobert

Andrea Ypsilanti, die linke Parteivorsitzende der SPD in Hessen, gewinnt überraschend die erste Runde im Kampf um die Spitzenkandidatur für Landtagswahlen 2008 gegen den eher rechten Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Jürgen Walter

AUS GROSSALMERODEKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

„Hier bei uns im Ortsverein haben wir jetzt eine Gruppe Sozialdemokraten in der SPD gegründet“, witzelt der aus Hessen stammende Kabarettist Georg Schramm über die ihm konturlos erscheinende Politik der SPD. Andrea Ypsilanti (49), SPD-Landeschefin in Hessen, liegt da mit Schramm auf einer Linie. Die sich selbst als „Linke“ bezeichnende Tochter eines Opel-Arbeiters aus Rüsselsheim will aus dem ganzen Landesverband eine Arbeitsgruppe Sozialdemokraten in der SPD machen.

Vor allem das soziale Profil der Partei müsse neu geschärft werden. „Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität!“ Das seien die sozialdemokratischen Tugenden, die es zu reaktivieren gelte, sagte Ypsilanti am Sonnabend in Großalmerode vor rund 200 Parteigenossinnen und -genossen beim Duell mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Hessischen Landtag, Jürgen Walter (38). Ypsilanti kämpft gegen Walter um die SPD-Spitzenkandidatur für die Landtagswahlen 2008. In insgesamt 26 Rennen durch Hessens Unterbezirke wollen die beiden zeigen, wer 2008 ein/e würdigere/r Gegner/in für Landeschef Roland Koch (CDU) ist.

Und zur Verblüffung auch der Landtags-SPD-Experten gewann Ypsilanti mit ihren linken Thesen schon gleich diesen ersten Zweikampf im gar nicht linken äußersten Nordhessen. Am Ende der Vortrags- und Fragerunde lagen für Ypsilanti 105 Stimmen in den Wahlurnen, für Walter nur 84. „Sie hat mir aus der Seele gesprochen“, schwärmte eine ältere Genossin, die zuvor für ihr langjähriges Engagement in der Kommunalpolitik geehrt worden war. Dabei unterschieden sich Ypsilanti und der SPD-Rechte programmatisch kaum voneinander. Ypsilanti stellte zwar die Bildungspolitik in den Mittelpunkt und forderte „gleiche Chancen für alle Kinder“, während sich Walter zuerst für Arbeitsplätze stark machte. Doch bei der Frage nach dem, was beide in den ersten 100 Regierungstagen umsetzen würden, waren sie sich schnell einig: Studiengebühren wieder abschaffen, ein Förderprogramm für den Mittelstand auflegen, Energiewende einleiten und das gerade für Nordhessen wichtige Dorferneuerungsprogramm reaktivieren.

Und auch in der Beurteilung der „Politik der uneingelösten Versprechungen“ von Roland Koch widersprach Ypsilanti der Wertung von Walter nicht: „Alles lyrischer Käse.“ Der einzige echte Unterschied: Walter neigt eher zu einer Koalition mit der FDP, auch wenn er eine Koalition mit den Grünen „nicht generell ausschließen“ wollte. Die SPD sei allerdings nicht der natürliche Partner der Grünen. Ypsilanti dagegen favorisiert eine Partnerschaft mit den Grünen, denen sie in der Frage nach dem Ausbau des Frankfurter Flughafens wohl auch näher stehen dürfte als der Mehrheit in ihrer Partei. Für Ypsilanti jedenfalls ist der Ausbau offen, für Walter beschlossene Sache.

Gegen den um staatsmännisches Auftreten bemühten Walter gewonnen hat Ypsilanti an diesem Nachmittag, weil sie die gewiss nicht zur Toskana-Fraktion zählende nordhessische Parteibasis mit einer hinreißenden Rede beeindruckte, in der das Schlüsselwort „Gerechtigkeit“ war. Sie bringe „politischen Sachverstand, Zivilcourage, Leidenschaft, Augenmaß, Lebenserfahrung und sozialdemokratisches Bewusstsein“ mit in die Politik ein, beschrieb Ypsilanti zum Schluss ihre eigene Kompetenz.

Genau darauf hat die Basis offenbar lange gewartet. Ihr Votum ist zwar nicht bindend, aber sicher meinungsbildend. Am 2. Dezember soll die Kandidatenfrage auf einem Landesparteitag entschieden werden. Aus den Startblöcken jedenfalls kam Ypsilanti am besten heraus.