Bildungsgrade und das Kernthema Klo

Zwar ist ein EU-Beschluss zur Volkszählung noch nicht gefällt. Der Fragenkatalog aber steht im Grundsatz fest

„Ziel: Formierung einer positiven Haltung der Gesellschaft gegenüber dem Zensus“

BERLIN taz ■ Noch gibt es den Beschluss der Europäischen Union gar nicht, auf dessen Grundlage die große Koalition in Deutschland für 2010/2011 eine neue Volkszählung plant. Bislang, erklärt die europäische Statistikbehörde Eurostat in Brüssel, gibt es bloß eine „inoffizielle Übereinkunft“, die Menschen der EU zählen zu lassen. „Anfang 2007“, erklärt die Eurostat-Sprecherin, solle die nötige Verordnung der Kommission auf den rund 12-monatigen Weg durch Rat und EU-Parlament gebracht werden.

Doch läuft die Volkszählung hierzulande bereits als beschlossene Sache. Ende August entschied die Bundesregierung ganz gemäß Koalitionsvertrag, 2010/2011 erstmals seit 1987 die Bevölkerung Deutschlands auszuzählen und ihre Lebensumstände zu ermitteln. Anders aber als in den 80er-Jahren soll es keine flächendeckende Tür-zu-Tür-Befragung geben, sondern einen Datenabgleich der Meldeämter und der Bundesagentur für Arbeit: „Registergestützt“ heißt der Zensus deshalb. Zusätzlich werden zehn Prozent der Bevölkerung besucht und befragt, und außerdem werden alle Hauseigentümer angeschrieben. Als notwendig gilt der frühe großkoalitionäre Entscheid, weil es 2007 zur Vorbereitung des Zensus ein Gesetz geben soll, das die Erfassung aller Häuser erlaubt.

Eurostat betont, dass die EU-Mitgliedstaaten große Freiheiten haben, wie sie ihren Zensus gestalten. Doch wird Grundlage der EU-Verordnung ein 200-seitiger Empfehlungskatalog sein, den Eurostat mit der UNO-Wirtschaftskommission für Europa in diesem Jahr erarbeitet hat (www.unece.org/stats/documents/ece/ces/ge.41/2006/zip.1.e.pdf).

Die darin festgehaltenen „Kernthemen“ (core topics) sollen zum EU-weiten Pflicht-Fragebogen werden, die „Nicht-Kernthemen“ (non-core topics), können, aber müssen nicht von den Mitgliedsländern erhoben werden. Ein verpflichtendes Kernthema, das in Deutschland beim jährlichen Mikrozensus bislang nicht erhoben wird, ist zum Beispiel die Frage, ob jemand „jemals im Ausland gelebt hat“ und wann er dort angekommen ist.

Hierzulande vertrautes Kernthema ist dagegen der höchste Bildungsgrad – zum Beispiel Hochschulabschluss. Als Nicht-Kernthema ist dagegen die Art des Abschlusses – zum Beispiel Diplom oder Magister – definiert. Bei den Fragen, die zu den Wohnumständen gehören, ist die Art der Toilette ein Kernthema – ob eigenes Klo oder mit Nachbarn geteiltes, innen oder außen. Die Frage nach Heißwasser oder nicht ist dagegen ein Nicht-Kernthema.

Nicht nur die Bundesregierung weiß, wie empfindlich die Bevölkerung auf das Thema Volkszählung reagiert – was ein wichtiger Grund sein dürfte, dass sich die Koalition bei Verkündung ihres Beschlusses etwas hinter dem Willen der EU versteckte. Auch die Euro-Statistiker haben hier Problembewusstsein. Sie benennen im Vorgabenkatalog, was sie für das „wichtigste praktische Ziel“ jeder Informationskampagne zur Zählung halten: „Die Formierung einer positiven Haltung der Gesellschaft gegenüber dem Zensus.“

ULRIKE WINKELMANN