„In einigen Dörfern ist die NPD bereits die stärkste Partei“

Die NPD bekommt mit rund sieben Prozent einen parlamentarischen Arm in Mecklenburg-Vorpommern. SPD und CDU müssten endlich um die ländlichen Regionen kämpfen, meint der Greifswalder Politologe Dierk Borstel. Denn dort haben sich die NPD und die Kameradschaften festgesetzt

taz: Herr Borstel, die NPD zieht in Mecklenburg-Vorpommern mit einem einstelligen Ergebnis in den Landtag ein. Ist das ein Alarmsignal oder etwa ein Grund zum Aufatmen – weil die NPD rechnerisch nicht ganz so stark wurde, wie es viele Beobachter erwartet hatten.

Dierk Borstel: Nein, Grund zum Aufatmen besteht leider gar nicht. Die NPD ist drin. Sie hat damit nun nach Sachsen in einen zweiten Landtag den Fuß bekommen. Für diese rechtsextreme Partei ist das Anerkennung und eine deutliche Stärkung in Mecklenburg-Vorpommern. Die NPD ist in zwei ländlichen Gebieten dort bereits sehr stark verankert. In einigen Dörfern im Raum Ludwigslust und in Ostvorpommern ist sie zur stärksten Partei geworden. Nun kommt ein parlamentarischer Arm hinzu. Ich befürchte, dass die Partei in Wahrheit ihr Wählerpotenzial noch nicht ganz ausgeschöpft hat.

Sie befassen sich wissenschaftlich mit der NPD: Wer wählt die?

Alle – und das ist ein wichtiger Teil des Problems. Es gibt inzwischen keine Schicht mehr, die der NPD ihre Stimme generell verweigern würde. Dazu gehören auch Teile der etablierten Handwerkerschaft – die NPD-nahen Kameradschaften gründen ja inzwischen eigene Handwerksbetriebe. Selbst Gymnasiasten gehen dazu über, sich offen zur NPD zu bekennen. Ansonsten hat die Partei ihre treuesten Wähler bei den jungen bildungsschwachen Männern. Und ihr Anklamer Spitzenkandidat Michael Andrejewski versteht sich mit älteren Herren ab 50 sehr gut.

Wie sollte man im Schweriner Landtag mit der NPD umgehen?

Parlamentarisch muss man ihnen natürlich alle Rechte geben, die ihnen zustehen. Und sie stets auf die Einhaltung der Spielregeln und Gepflogenheiten im Landtag festnageln. Wichtiger ist die inhaltliche Auseinandersetzung – gerade da, wo die NPD stark ist. Die etablierten Parteien müssen sich endlich überlegen, wie sie mit den strukturschwachen, sich entvölkernden Regionen umgehen. Die Menschen dort fühlen sich im Stich gelassen. Sie folgen den Parolen der NPD, die den Ton trifft und brennende Themen aufgreift.

Zum Beispiel?

Die NPD hat etwa ganz simpel die Forderung aufgestellt, die ländlichen Schulen zu erhalten. Das finden die Leute sofort richtig – und das wäre auch richtig. In vielen Gebieten ist die Schule der letzte Ort kultureller Auseinandersetzung. Wenn man die zumacht, ist das das ultimative Signal für Schluss, Aus, Feierabend.

Die NPD fährt in Mecklenburg-Vorpommern eine Politik des Nazi-sein-kann-ganz-normal-sein. Was ist die richtige Strategie gegen eine Partei, die sich in zwei Regionen bereits festgesetzt hat?

Die großen Parteien haben bestimmte Regionen einfach aufgegeben, scheint mir. Da gilt es demokratische Strukturen, Schulen, Jugend und Kulturarbeit zu erhalten. Manchmal muss so etwas wie eine demokratische und zivilgesellschaftliche Praxis überhaupt erst entwickelt werden. Sonst hat die rechtsextreme NPD mit den sie tragenden Kameradschaften leichtes Spiel. Die haben sich der Jugend- und Kulturarbeit längst bemächtigt. Die großen Parteien haben diesem Treiben viel zu lange zugeschaut.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER