Grüne geraten ins Schwelgen

Berliner Grüne legen gegenüber 2001 um die Hälfte zu. Eine Beteiligung an der Regierung ist greifbar nahe. Der Einzug in den Schweriner Landtag wurde aber verfehlt

„Die SPD muss sich jetzt entscheiden“, gab Bütikofer als Grünen-Parole aus

BERLIN taz ■ Ein „sensationelles Ergebnis“ feierte gestern die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, Franziska Eichstädt-Bohlig, und schwenkte ihren Blumenstrauß. Mit rund 13,5 Prozent haben die Grünen ihr Landtagswahlergebnis in der Hauptstadt tatsächlich um gute 50 Prozent verbessert und lagen bis taz-Redaktionsschluss nahezu gleichauf mit der PDS.Linkspartei. Damit rückte ein Mitregieren im rot-grünen Bündnis nicht nur in greifbare Nähe, sondern erschien sogar mindestens so wahrscheinlich wie eine Weiterführung der rot-roten Koalition.

Denn der Einbruch der Linkspartei.PDS vor allem im Osten Berlins, erklärte ein erhitzt-erfreuter Grünen-Chef Reinhard Bütikofer, beraube sie ihres stärksten Arguments für die Regierungsbeteiligung. „Die SPD muss sich jetzt entscheiden“, nannte Bütikofer die Grünen-Parole des Abends. „Will sie mit dem Wahlgewinner kooperieren – oder mit dem Wahlverlierer?“

Inwieweit den Grünen gerade die enttäuschten PDS-Wähler zugelaufen sind, blieb gestern undeutlich. Doch steht zu vermuten, dass die inhaltliche Nähe zwischen Hauptstadt-PDS und -Grünen, etwa die Betonung des Innovations- und Bildungssektors, eher Ersteren geschadet und Letzteren genutzt hat. Über eine Dreier-Konstellation – also ein rot-rot-grünes Bündnis oder eine rot-gelb-grüne „Ampel“ – mochte Bütikofer zunächst nichts sagen. Das sei Sache des Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD). Offenbar aber habe die über den Sommer heftig geführte Debatte über zukünftige Koalitionen mit FDP und/oder Union dem grünen Berliner Wahlkampf keine Nachteile gebracht, wie etwa der Vizechef der grünen Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, befürchtet hatte.

Auch Bundestagsfraktionschefin Renate Künast stürzte sich gern auf die Option einer rot-grünen Koalition in Berlin – trotz der Aussicht, von Wowereit zunächst zu großen Zugeständnissen und dann zur Fortführung der beinharten Sparpolitik gezwungen zu werden. „Es geht nicht nur um Haushaltskonsolidierung“, so Künast, sondern „auch um ein soziales Berlin“, worunter sie vor allem Bildungspolitik und „Politik für Kinder“ verstanden wissen wollte.

Das sehr gute Berliner Ergebnis konnte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grünen mit rund 3,5 Prozent der Stimmen in Mecklenburg-Vorpommern erneut nicht in den Landtag einziehen dürfen. Doch auch hier erkannte Bütikofer gestern Fortschritte. Das sehr leicht verbesserte Ergebnis im Nordosten bestätige jedenfalls das „Gesetz der Serie“, wonach es „seit 2004 den Grünen bei allen Wahlen im Osten gelungen ist, zuzulegen“.

So wird der wirklich winzige Landesverband in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin dazu verurteilt sein, sich in die zivilgesellschaftliche Projekt-Szene einzuordnen. Hier wollen die Grünen weiterhin „den alltäglichen Kampf gegen rechts außen zum Thema machen“, erklärte Bütikofer. ULRIKE WINKELMANN