Ernüchternde Vorstellung

SCHWANKHALLE Aus der guten Idee, August Strindbergs mit Falk Richters „Rausch“ zu verbinden, entwickelt Carsten Werner eine Produktion, die leider eher zum Kotzen ist

Das Ensemble hinterlässt den Eindruck eines eher durchschnittlichen Oberstufenkurses im Fach „Darstellendes Spiel“

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Packen wir mal das Gute an den Anfang. Erstens: Die Songs von Rike Scheffler sind gut anzuhören, zweitens: Die Dramaturgie ist schlüssig, die Textarbeit ist mehr als nur geglückt: Die Verbindung von August Strindbergs Lebenskrisen-Stück „Rausch“ mit Falk Richters 2012 uraufgeführtem „Rausch“ ist zutiefst einleuchtend.

Denn Strindbergs „Comedi“, die ursprünglich gar nicht so dionysisch „Brott och Brott“, also „Verbrechen und Verbrechen“ heißt, erzählt aus der Warte von 1899 vom Scheitern der Zweisamkeit und der Ridikülisierung gesellschaftlicher Institutionen. Sie gehört zum Ende des neuzeitlichen Dramas, ein Kammerspiel produktiver Verunsicherung. Richters Schaffen ist Teil einer seit den 1990er-Jahren einsetzenden Neuorientierung des postdramatischen Theaters. Sein „Rausch“ orchestriert, verschmilzt, verwirrt die Diskursströme der Beziehungsunfähigkeit zu einem Lied der Welt im Banne ridiküler Institutionen wie Facebook & Cie. Und während er sein personenloses Libretto in den virtuellen Raum der globalen Finanz- und Gesellschaftskrisen platziert, konstruiert Strindberg seine Handlung in die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, das mondäne Paris, das während der Dritten Republik nicht nur Heimat aller Avantgarden, sondern auch Tatort einer Reihe von Bankenskandalen ist – das Epizentrum einer frühen, weltweiten Finanzkrise. Es ist ein Erlebnis zu bemerken, wie es das Textbuch der Schwankhallen-Produktion ermöglichen könnte, von einem Stück ins andere zu gleiten und zurück.

Außerdem bekommt die Schwankhalle eine neue Leitung, gestern wurde verkündet, dass die Tanzdramaturgin Pirkko Husemann und die Philosophin Stefanie Wenner das Haus übernehmen. Und deshalb, aller guten Dinge sind drei, soll die Aufführung die letzte Regie-Arbeit von Carsten Werner gewesen sein. Ja, darüber muss man sich leider freuen. Denn Werner hatte ja einst inszenieren können, im Kopf geblieben sind diskutable Bernard-Marie Koltès- und mitreißende Richter-Arbeiten.

Aber seit fünf Jahren hat er kein Stück mehr auf die Bühne gebracht. Und in dieser Abstinenz hat er – das ist die ernüchternde Einsicht der jetzigen Produktion – diese Fähigkeit offenbar verloren: „Rausch“ ist keine schlechte Arbeit eines ordentlichen Regisseurs. Es ist eine Aufführung ohne inszenatorisches Wollen, ohne Konzept – ohne alles, was Regie ausmacht. Weshalb das Ensemble den Eindruck eines eher durchschnittlichen Oberstufenkurses im Fach „Darstellendes Spiel“ hinterlässt.

Dabei tun zwei voll ausgebildete Schauspielerinnen mit. Doch das bleibt unbemerkt, so wie keiner, der’s nicht weiß, erahnt, dass Autodidakt Lajos Talamonti seine Ausbildungsdefizite unter anderer Regie vergessen lassen kann. Scheffler sollte unbedingt beim Singen bleiben. Bei Tim Gerhards, der eigentlich Tänzer ist, stimmt die Bühnenpräsenz. Und so ist er, so lange er hinterm Tresen als wortkarger Barkeeper Gläser poliert und dann und wann mal einen lapidaren Einwurf macht, der Punkt auf der Bühne, an dem sich der Blick vom Gehampel vorn erholen kann.

Das nämlich ist unerträglich. Und am besten lässt sich das dort zeigen, wo Regisseur und Spieler fast schon so etwas wie eine Idee hatten, wie sich der Bühnenpart gestalten ließe – also an Talamontis Auftritt. Der hat die Hauptrolle. Das ist bei Strindberg die Figur des Bühnendichters Maurice, der im Rausch des Erfolgs seine hausmütterlich veranlagte Geliebte Jeanne und das gemeinsame Kind für die fatale Henriette verlässt. Und es ist bei Richter das Motivbündel eines ebenfalls für eine postdramatische Bühne dichtenden Ichs: „ich würd so gern einfach schreiben“, lautet der erste Satz, „ohne ein thema/ohne eine richtung/ohne etwas zu bearbeiten“. Diese selbstreflexiven Figuren gestaltet er mit einer Geste der Unsicherheit: Der Griff ins eigene Gesicht, an die eigene Nase, das ist schnell kapiert.

Er verliert aber die Qualität eines nervösen Tics, wenn er überspielt wird, wie hier der Fall: Und wenn die Richter-Passagen noch ansehnlich wirken, gerät’s zum übelsten Chargieren dort, wo Strindbergs Text nun aufzusagen wäre.

Werner hatte die kluge und nachvollziehbare Idee, den alten und den zeitgenössischen Text zu verschmelzen. Das ist ein Ansatz. Nur die elementaren Fragen: „Was damit jetzt anfangen, und wozu?“, die hat er sich nicht gestellt, und das führt zu einem alles andere als berauschenden Bühnengeschehen, dessen Peinlichkeitshöhepunkt Marion Gretchen Schmitzens Ohnmachtsanfall markiert, der Schlusspunkt des ersten Teils.

Drumherum sind, wie spanische Wände, Leuchtstelen mit Fotos aus Anja Fußbachs Punk-Figurinen-Fundus gruppiert, deren Auswahl keiner erkennbaren Logik folgt. Es gibt Cafétische und die erwähnte Bar. Auch das ist kein Argument, sich die Sache anzutun.

■ 25.–27. 3., 20 Uhr, Schwankhalle