„Eigentlich geht es darum, Machtstrukturen zu verändern“

MEHRHEIT ODER MINDERHEIT Gregor Hackmack kämpft für direkte Demokratie und betreibt das Internetportal abgeordnetenwatch.de. Am 2. April erscheint sein Buch „Demokratie einfach machen – Ein Update für unsere Politik“

■ 36, ist im Wendland aufgewachsen und studierte an der London School auf Economics Internationale Beziehungen und Politische Soziologie. 2004 gründete er in Hamburg das Internetportal abgeordnetenwatch.de. Im Februar 2014 wurde er für das Reformbündnis „Die Kammer sind wir!“ ins Plenum der Hamburger Handelskammer gewählt, der er mangelnde Transparenz vorwirft.

INTERVIEW GERNOT KNÖDLER

taz: Herr Hackmack, Ihr Internetportal abgeordnetenwatch.de hat einen Preis für „Soziales Unternehmertum“ bekommen. Inwiefern ist abgeordnetenwatch.de ein Unternehmen?

Gregor Hackmack: Soziales Unternehmertum bedeutet, dass man zwar unternehmerisch tätig ist, aber nicht profitorientiert. Unternehmerisches Ziel ist es, sozialen Wandel zu erreichen.

Wie haben Sie den Start finanziert?

Ursprünglich haben wir abgeordnetenwatch.de komplett ehrenamtlich gemacht. Im September 2004 habe ich abgeordnetenwatch.de zusammen mit Boris Hekele gegründet.Wir hatten damals Serverkosten von vier Euro im Monat. Gleichzeitig haben wir unsere Studentenjobs weitergemacht. Ich habe in der Marktforschung gearbeitet und Analysen und Übersetzungen gemacht. Ich hatte einen Tagessatz von 240 bis 400 Euro. Das war natürlich super. Und Boris hatte einen ähnlichen Tagessatz. Wir mussten nur ein paar Tage im Monat freiberuflich arbeiten und haben den Rest der Zeit benutzt, um uns um Projekte zu kümmern, die uns Spaß machten. Dann merkten wir, das wird größer und bekannter. 2007 haben wir uns entschlossen, Sozialunternehmer zu werden und haben von Bonventure – einer Stiftung für soziale Unternehmer – ein Darlehen aufgenommen. Von den damals 310.000 Euro ist bis auf 130.000 Euro alles zurückgezahlt.

Wie sind Sie auf die Idee zu dem Portal gekommen?

Im Prinzip durch die Kampagne zum neuen Wahlrecht in Hamburg 2004. Ich war im Vorjahr zurückgekommen, nachdem ich in London meinen Bachelor in Internationalen Beziehungen gemacht hatte und einen Master in Politischer Soziologie – beides an der London School of Economics. Bei einer Unternehmensberatung oder im Auswärtigen Dienst arbeiten wollte ich nicht, obwohl das der Standardweg gewesen wäre und ich einen Abschluss mit Auszeichnung hatte. Über einen Uni-Streik, in dem wir unser erstes Web-Projekt planten, habe ich Boris Hekele kennengelernt, bin in die Kampagne zum Wahlrecht reingerutscht und zu Mehr Demokratie gekommen. Ich fand es faszinierend als politischer Soziologe zu sehen: Eigentlich geht es darum, Machtstrukturen zu verändern, und zwar so, dass sich gesellschaftliche Mehrheiten durchsetzen können.

Bei Machtstrukturen denkt man eher an Konzerne, Lobby-Organisationen und die Medien. Warum haben Sie sich auf das Wahlrecht gestürzt?

Die Macht von den Parteispitzen durch die Wahl von DirektkandidatInnen zurück an die Wählerinnen und Wähler zu geben, hat mich total überzeugt. Mir war aber sofort klar nach dem Volksentscheid, gegen den sich SPD und CDU mit Händen und Füßen gewehrt haben, und der zwei Jahre später von der CDU kassiert wurde, dass das nicht einfach so akzeptiert werden würde. Gleichzeitig wurde in der Kampagne zum Wahlrecht deutlich, dass die Leute zwar sagten: Super, jetzt kann ich wählen, wen ich will – aber ich kenne doch die Personen gar nicht. Also haben wir die Bürger auf den Personalchefsessel gesetzt und gefragt: Wie müsste eine Website aussehen, die das leistet? Es war ursprünglich als Umsetzungsinstrument für das neue Hamburger Wahlrecht gemeint.

Sie kommen aus dem Wendland, aus der Nähe des Atommüllagers Gorleben. Wäre die Geschichte dort anders verlaufen, wenn es früher abgeordnetenwatch.de gegeben hätte?

Ich kann mir vorstellen, dass die Geschichte des Wendlands anders verlaufen wäre, wenn es den bundesweiten Volksentscheid gegeben hätte, um einzelne politische Entscheidungen zu korrigieren. Im Wendland ist mir deutlich geworden, dass es in unserem Land teilweise möglich ist, Gemeinwohlinteressen mit großer Wirtschaftsmacht auszuhebeln. Ich bin in einer Situation aufgewachsen, wo ein ganzer Landstrich über alle gesellschaftlichen Schichten hinweg gegen die Atomindustrie war und wo so was dann mit staatlicher Gewalt – 30.000 Polizisten – durchgesetzt wurde. Bei keiner Meinungsumfrage seit Tschernobyl 1986 gab es eine Mehrheit für die Atomindustrie.

Man hätte allerdings den Volksentscheid schon 1978 machen müssen, der möglicherweise für ein Endlager im Wendland ausgefallen wäre. Was dann?

1978 hätte man einen Volksentscheid über die Atomindustrie allgemein machen können und ihn dann nach Tschernobyl, als die Gefahren für wirklich jeden deutlich wurden, wiederholen müssen. Italien hat 1987 nach einem Volksentscheid auf Atomenergie verzichtet.

Trotzdem könnte der Fall eintreten, dass die Mehrheit entscheidet: Wir wollen Atomenergie und wir wollen ein Endlager an diesem Ort. Wie sieht dann die Position des bürgerlichen Widerstands dagegen aus?

Bürgerlicher Widerstand ist auch bei einer direkten Demokratie richtig und wichtig. Ich finde, dass die Nutzung der Atomenergie einen Grundrechtsverstoß darstellt, weil sie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht achtet. Und Grundrechte dürfen niemals Gegenstand von Mehrheitsentscheidungen sein. Stuttgart 21 hat gezeigt, dass Volksentscheide solche Konflikte auch befrieden. Trotzdem würde ich niemandem das Recht absprechen, weiter gegen das Projekt zu demonstrieren. Wenn aber jemand anfängt, die Baustelle zu besetzen, mag das moralisch legitim sein, aber er oder sie muss dann die rechtlichen Konsequenzen tragen.

Haben Sie sich selbst schon mal auf die Gleise gesetzt?

Ja, im Rahmen eines Castortransports habe ich mich wie fast alle Wendländer auch schon einmal auf Gleise gesetzt und mich danach vor Gericht dafür verantworten müssen. Die Geldstrafe war allerdings weit geringer, als die Schmerzensgeldzahlung, die ich aufgrund von Rechtsverstößen durch die Polizei im Rahmen des Castortransports erhielt.

Haben Sie ihr Engagement für die direkte Demokratie schon einmal bereut?

Es kommen nicht nur die Entscheidungen heraus, die man sich wünscht. Aber ich glaube, dass bei der direkten Demokratie am Ende doch mehr Entscheidungen herauskommen, die dem gesellschaftlichen Willen entsprechen. Es gibt auch Entscheidungen, wie über die Ausschaffungsinitiative in der Schweiz, deren Ergebnis ich problematisch finde. Andererseits muss man bedenken, dass in Deutschland Volksentscheide nie gegen die Verfassung verstoßen dürfen.

Macht es Ihnen Sorgen, dass sich Menschen heute weniger in Parteien engagieren als vielmehr in Initiativen, wo es um ihre konkreten Belange geht?

Ich finde parteipolitisches Engagement auch wichtig, kann aber verstehen, warum sich immer weniger Leute in Parteien engagieren. Die Parteien sind auf dem Stand einer Zeit, als es das Internet noch nicht gab. In den 150 Jahren, seit denen die SPD besteht, hat sich in der inneren Struktur und Verfasstheit nichts Wesentliches geändert. Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass der sich durchsetzt, der das größte Sitzfleisch hat. Ich nehme es keinem übel, dass er die Ochsentour durch eine Partei nicht auf sich nimmt und sagt: Ich kann an anderer Stelle mehr bewirken. Ich selber tue das ja auch nicht.

Wo haben Sie sich engagiert?

Da ich im Wendland aufgewachsen bin, in der Anti-Atom-Bewegung. Dann kam ich nach London, habe mich der globalisierungskritischen Bewegung angeschlossen, bin dann zu der Bewegung gegen den Irak-Krieg gekommen. Dabei fiel mir auf, dass das, wofür wir in den drei Bewegungen gestritten haben, eigentlich Mehrheitspositionen waren. Der Irak-Krieg wurde in Großbritannien abgelehnt. Es kam zur größten Demonstration in der britischen Geschichte, die ich mit organisiert habe. Zwei Millionen Menschen marschierten zum Hyde-Park. Und zwei Wochen später gibt es eine riesige parlamentarische Mehrheit für den Krieg. Da fragt man sich: Ist das Demokratie?

Warum sind Sie nicht einer Partei beigetreten?

Weil ich nicht so der Gremienmensch bin. Ich bin eher ein Macher. Deshalb passt auch der Begriff „Sozialunternehmer“ ganz gut zu mir. Das Thema, an dem ich arbeite – Demokratie, Transparenz – ist nicht parteipolitisch besetzt. Es würde nur stören, wenn man das in einem parteipolitischen Fahrwasser bearbeiten würde.

Sind die Politiker dadurch ehrlicher geworden, dass ihre Versprechen von abgeordnetenwatch.de dokumentiert werden?

Ein Stück weit schon. Doch ein Kulturwandel dauert. Vor zehn Jahren war es unüblich, dass sich die Bürgerinnen und Bürger fragten: Wie hat eigentlich mein Wahlkreisabgeordneter abgestimmt? Jetzt werden die Abgeordneten stärker in die Pflicht genommen – wie kürzlich beim Thema Diätenerhöhung. Durch Transparenz schafft man aber nur dann Vertrauen, wenn das Misstrauen nicht begründet war.

Warum haben Sie sich ins Plenum der Hamburger Handelskammer wählen lassen?

abgeordnetenwatch.de ist ein gemeinnütziger Verein mit einer angeschlossenen GmbH für den Wirtschaftsbetrieb. Damit sind wir betroffen von den Zwangsbeiträgen der Kammer. Die Kammer weigert sich bis heute, nach dem hamburgischen Transparenzgesetz zu veröffentlichen, was sie eigentlich veröffentlichen müsste. Wenn so eine mächtige Institution meint, dass sie einen Sonderstatus beanspruchen kann, muss ich auch als Mitglied etwas dagegen tun.

Gregor Hackmack „Demokratie einfach machen – Ein Update für unsere Politik“, Edition Körber-Stiftung, 160 S., 14 Euro