uli hannemann, liebling der massen
: Die Freunde der Schwäne

„Na?“, lächelt die junge Frau entrückt, während sie ihren Brotmüll Stück für Stück in den Kanal wirft. Ihr Treiben bereitet ihr sichtliches Glücksempfinden. Vielleicht sollte ich das mal probieren: Zu Hause den Deckel vom Mülleimer abheben, freundlich „na?“ fragen und den Abfall mit sorgfältiger Inbrunst in der Tonne verteilen – womöglich grinse auch ich dann so jesusmäßig.

Im Wasser warten Vögel. Riesengroße Schwäne wachen aus den Augenwinkeln darüber, dass die Verteilung der Brotstückchen zu wenigstens 95 Prozent zu ihren Gunsten ausgeht. Bei einigen hängen die Beine gar nicht mehr nach unten ins Wasser, sondern sie haben eines quer über den Rücken geschnallt, jederzeit bereit, damit einen möglichen Aufstand der Enten und Blasshühner brutal niederzuknüppeln. Die warten in der zweiten Reihe verzweifelt auf Brosamen.

Die Blasshühner sind schon ganz blass um den Schnabel, doch die Frau gibt in erster Linie den Schwänen. Ganz opportunistische Landesmutter, verteilt sie das Kapital nach Gutsherrenart an die Mächtigen. Nur ab und zu landet – „na?“ – eine Krume gnädig bei den Geknechteten. Auch das ist Berechnung – Brot und Spiele: Hier ein Bröselchen, da ein Wahlversprechen, dort eine Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land. Eventuell steht ein Krieg ins Haus, und man benötigt die Enten als Kanonenfutter.

Direkt neben mir unterhalten sich zwei weitere Blasshühner. Sie haben keinen Blick für die Fütterung. Sie haben schon gefrühstückt – Gutsherrenleberwurst oder Speed oder Quasselwasser – und Wichtiges im Sinn: Ihren mittelfristig bevorstehenden Schulabschluss; politische Weltkunde. „Mann, ey“, klagt die eine, „letztes Jahr konnte ich mir endlich mal merken, wer alles Minister ist und so, und jetzt ist wieder alles ganz anders.“ „Scheiße, ey“, stimmt die andere zu. „Jetzt gibt’s da einen Steinmeier oder so, und dann einen anderen, der heißt Steinbruck oder, nee, Steinbrück, glaube ich, und einer ist der Verteidigungsminister oder wie, und der andere, ach, weiß nicht …“ „Scheiße, ey …“ Ob die schon wählen durften? Sie schweigen nun doch einmal und schenken der Fütternden kurz ihre Aufmerksamkeit.

„Na?“, stopft diese einem Schwan selig eine komplette Scheibe Brot in den Hals. Der Schwan knurrt. Am Ende verstreut sie den ganzen Rest im Stehen, eine Jeanne d’Arc für Arme, eine Mutter Teresa für Wasservögel, eine Kofie Annan der unkonventionellen Biomüllentsorgung, und ist sich offenbar sicher, dass sie hier Gutes tut. Ein Teil der für die Vögel ohnehin nicht gesunden Nahrung versinkt im Wasser, verrottet, reduziert den Sauerstoff und fördert die Entwicklung bedarfsarmer Algen, die wiederum alles weitere Leben ersticken. Der Kanal stirbt und mit ihm die Fische und die Vögel. Ganz blass, Hühner! Deren Leichen werden weitergeschwemmt über die Spree in die Havel, den Mittellandkanal, die Donau, den Nil, den Atlantik. Alles verwest, das Grundwasser wird vergiftet, die letzten Menschen torkeln in Schutzanzügen schluchzend durch die Steppe Brandenburg – die Apokalypse trägt ein weißes Röckchen, weiße Flipflops und eine Plastiksonnenblume im Haar. Wer etwas anderes erwartet hätte, denkt sich gewiss noch den lieben Gott mit grauem Bart und den Tod mit der Sense.

Aber dieses entrückte Lächeln ist es natürlich wert, dass die Natur stirbt. Schließlich ist das Lächeln ebenfalls Natur, und wer bestimmt denn, welche Natur lebenswerter ist? Das tun, nach Gutsherrenart und auch für die nächsten vier Jahre wieder, die Freunde der Schwäne. Berlin hat gewählt.