Vom Kreuzberger Rand in die goldene Mitte

Die Stadt warte auf die Grünen, sagt deren Spitzenkandidatin. Die Partei steht längst nicht mehr nur für alternative Westberliner, sondern repräsentiert die jungen Erfolgreichen und bürgerlichen Etablierten – im Westen wie im Osten

Selbstbewusst waren sie schon immer, die Berliner Grünen. Nach dem Wahlergebnis vom Sonntag aber sind sie auch noch machtbewusst geworden. „Wir sind uns sicher, dass die Verhandlungen mit der SPD in Richtung grün gehen“, sagte Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig. „Die Stadt wartet darauf.“

Dass die Grünen die ganze Stadt für sich reklamieren, hängt nicht nur damit zusammen, dass Rot-Grün bei den Wählern mit 46 Prozent in der Gunst vor Rot-Rot mit 33 Prozent liegt. Längst ist die Partei auch keine Westberliner oder gar Kreuzbergpartei mehr. In Ostberlin gewinnen die Grünen mit 10,5 Prozent zweistellig, in ihren Hochburgen in Prenzlauer Berg haben Volker Ratzmann und Andreas Otto sogar die ersten grünen Direktmandate im Osten überhaupt geholt. Kein Wunder, dass Ratzmann, der grüne Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, seine Partei als Sieger sieht: „Wir sind diejenigen, die den Aufbruch, die Kreativität und das Lebensgefühl in der Stadt repräsentieren.“

Das gilt vor allem für die Bezirke der Jungen und Dynamischen. Am Helmholtzplatz, dem Synonym für Sommer und Balkon, liegen die Grünen bei 40 Prozent, am Kollwitzplatz knapp darunter. Das sind Kreuzberger Ergebnisse, die vor dem 17. September niemand für möglich gehalten hätte. Selbst in den Altbauquartieren von Friedrichshain liegen die Grünen inzwischen weit vor der Linkspartei.

Doch nicht nur in den Szenebezirken konnten die Grünen kräftig draufpacken. Auch in den etablierten Westberliner Bezirken wie Zehlendorf-Steglitz (15,8 Prozent) und Charlottenburg-Wilmersdorf (16,4 Prozent) gab es Gewinne. Die Berliner Grünen sind damit nicht nur Wahlsieger. Sie sind auch die Partei der Erfolgreichen. Hartz IV im Bund mitbeschlossen zu haben, hat ihnen jedenfalls nicht geschadet.

Mehr noch: Die Ergebnisse in Zehlendorf und Charlottenburg zeigen, dass die Grünen auch den Einzug ins bürgerliche Lager geschafft haben. In Steglitz-Zehlendorf stehen die Signale bereits auf Schwarz-Grün. Man darf gespannt sein.

Wie auch auf die Koalitionsverhandlungen. Anders als die Linkspartei setzen die Grünen bei einer möglichen Regierungsbeteiligung ganz auf die Zukunftsthemen: Bildung, Umwelt, Verkehr. Vor allem aber schrecken sie auch vor „heißen Eisen“ nicht zurück. So soll die BVG zwar nicht, wie oft behauptet privatisiert werden. „Aber wir wollen den Vertrag des Landes mit der BVG an Bedingungen knüpfen, die dann auch eingehalten werden“, sagt die mögliche Verkehrssenatorin Eichstädt-Bohlig.

Um niedrige Preise im Nahverkehr durchzusetzen, wollen die Grünen darüber hinaus mehr Wettbewerb. Volker Ratzmann sagt dazu: „Wir wollen das Geld nicht in den staatlichen Unternehmen versenken, sondern in die Bildung stecken.“ Das sind andere Töne als bei der Linkspartei, Töne, die auch bei manchem CDU- oder FDP-Wähler gut ankommen.

Nur eines haben die Grünen bislang nicht geschafft: Die Berliner Kleinbürger für sich zu gewinnen. Das haben andere getan. So gewann in Reinickendorf nicht nur der Teppichhändler Frank Steffel (CDU) ein Direktmandat. Auch die Grauen haben dort 7 Prozent erzielt. Die neue Teilung der Stadt geht nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen Mitte und Rand. UWE RADA