Die Knigge-Frage

Muss man Kinder zurückgrüßen?

Mit einem Gruß geben wir zu erkennen, dass wir jemanden gesehen und erkannt haben. Kleine Kinder halten sich jedoch nicht an diese Regel, sie winken wildfremden Menschen zu und grüßen freudestrahlend in die Welt hinein.

Dieser erste „Ruf in das Sein“ hinein wird in deutschen Großstädten – wie der Autor aus eigener leidvoller Erfahrung des Vaterseins festgestellt hat – oftmals mit Nichtbeachtung quittiert. Die mit einem zärtlichen „Hallo“ begrüßten Passanten beharren auf ihr Recht des unpersönlichen Umgangs in einer urbanen Umgebung, in der sie, wie der Sozialphilosoph Georg Simmel in seinem berühmten Essay die „Großstädte und das Geistesleben“ diagnostiziert hat, einem „ununterbrochenen Strom der Reizüberflutung“ ausgesetzt sind. Diese „Steigerung des Nervenlebens“ führt, da man nicht alle Eindrücke gleichzeitig verarbeiten kann, zu einem blasierten und abgestumpften Verhalten.

Diese Blasiertheit des Großstadtmenschen mag in der Erwachsenenwelt ja durchaus ihre Legitimation besitzen – gegenüber Kindern ist sie jedoch deplatziert. „Heilige Pflicht ist es“, schreibt Adolph Freiherr von Knigge in seinem Kapitel „Über den Umgang mit Kindern“, „ihnen auf keine Weise Ärgernis zu geben … und ihnen in jeder Art Tugend, in Wohlwollen, Treue, Aufrichtigkeit und Anständigkeit Beispiel zu geben – kurz! zu ihrer Bildung alles nur Mögliche beizutragen.“

Der Gruß des Kindes ist ein reiner, aufrichtiger, noch nicht durch Vorurteile oder Konventionen deformierter Willkommensgruß. Seine Erwiderung vermittelt nunmehr dem Kind Wärme und Geborgenheit und trägt damit zur Bildung seines Herzens bei. Darüber hinaus entschleunigt der Erwachsene durch die kurze Begegnung mit dem Kind sein eigenes Dasein, kommt in Berührung mit einer natürlichen Herzlichkeit, die auch sein Leben bereichert. Kurzum: Der Gruß eines Kindes sollte jederzeit aufrichtig erwidert werden. ALEM GRABOVAC

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