Links und normal

Die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zeigen, dass der Niedergang der Volksparteien unaufhaltsam ist. Das bekommt nun auch die Linkspartei zu spüren

Die Linkspartei kann in der Regierung überleben, wenn sie einen ausreichend langen Atem hat

Die Wahlen sind vorbei – und viel schlauer ist man auf den ersten Blick trotzdem nicht. Wer künftig in Schwerin und Berlin regieren wird, ist offen. Die SPD hat in Schwerin mit Rot-Rot in schwieriger ökonomischer Lage verloren – und in Berlin mit Rot-Rot in schwieriger ökonomischer Lage leicht gewonnen. Die Grünen haben in Berlin gewonnen und bekommen in Schwerin kein Bein auf den Boden. Nur die CDU befindet sich verlässlich im Tief.

Aus all dem einen kollektiven Willen der Wähler, eine klare Botschaft an die politische Klasse zu destillieren, ist schwierig. Das war früher anders. Jahrzehntelang wirkte eine Mechanik, die nun außer Kraft gesetzt ist: Landtagswahlen waren Protestbekundungen gegen die Bundesregierung. Unter Kohl wurde die SPD in den Ländern stark, unter Rot-Grün die Union. Die Botschaft war klar: Die Wähler wollten kein Durchregieren im Bund, deshalb stärkte man die jeweilige Opposition im Bundesrat zu einer Art Nebenregierung. Doch jetzt regiert die große Koalition. Die alten Spielregeln gelten nicht mehr. Und neue gibt es nicht.

Bei all dieser verwirrenden Vagheit scheint nur eins klar: der Absturz der Linkspartei in Berlin. Vor fünf Jahren wählten 360.000 Berliner links, heute nur noch 180.000. Die PDS-Stammwähler in den östlichen Suburbs sind einfach zu Hause geblieben. Dies ist, so lesen es viele, die Strafe für die Regierungsbeteiligung der Linken im bankrotten Berlin.

Wenn das stimmt, dann ist diese Niederlage der Linkspartei in Berlin nicht nur für die Realos in der Linkspartei ein böses Zeichen. Es müsste alle alarmieren, die Rot-Rot-Grün für eine interessante Machtperspektive halten. Denn die Linkspartei/PDS hat sich anscheinend in eine Lage manövriert, die an griechische Tragödien erinnert. Egal, was sie tut, am Ende wartet der Untergang. Wenn sie mitregiert, wie in Berlin, und tapfer Verantwortungsethik praktiziert, verprellt sie ihre Stammkundschaft. Wenn sie sich auf Fundamentalopposition zurückzieht, wird sie früher oder später zur Sekte schrumpfen. Denn wer sich weigert, in einer liberalen, offenen Demokratie mitzuregieren, katapultiert sich zu Recht früher oder später ins Abseits.

So kann man es sehen. Doch wenn man genauer hinschaut, verwischt auch hier das Eindeutige. Eine Niederlage sind die 13,4 Prozent für die Linke gewiss – ein Desaster eher nicht. Realistisch betrachtet hat die Linkspartei in Berlin drei Prozent verloren – nicht neun. Denn jene 22 Prozent, die Gregor Gysi 2001 für die PDS erzielte, waren einmalig. Sie hatten viel mit dem Bankenskandal zu tun, der Berlin damals erschütterte.

Die Niederlage der Linkspartei in Berlin ist auch kein prinzipielles Argument gegen Regierungsbeteiligungen der Linkspartei, wie es der Fundi-Flügel der Linkspartei nun suggeriert. Denn Mecklenburg-Vorpommern hat gezeigt, dass die Linkspartei in der Regierung keineswegs automatisch verlieren muss. Genauer: Auch dort hat die PDS nach der ersten rot-roten Regierung verloren – doch nun ist sie stabil. Das beweist, dass die Linkspartei auch in der Regierung überleben kann. Vorausgesetzt, sie verfügt über einen ausreichend langen Atem.

Zudem gibt es in Berlin Gründe für dieses Wahlergebnis, die nichts mit der Regierungsbeteiligung der Linkspartei zu tun haben. Den Wechsel des Spitzenkandidaten zum Beispiel: Vor fünf Jahren trat Gregor Gysi an und wärmte die Ostseele, diesmal Harald Wolf, der nur vom Haushaltsdefizit sprach. Und Spitzenkandidaten sind wichtig, vielleicht sogar noch mehr als früher. In Berlin jedenfalls meinen viele, dass Politik angesichts des Berliner Finanzdesasters sowieso nicht viel ändern kann – dafür will man sich wenigstens gut unterhalten fühlen. Figuren wie Wowereit und Gysi in Berlin kommen da besonders gut an.

Die Wahlniederlage der Linkspartei ist das Ergebnis mehrerer sich überlagernder Wellen. Sie hat mit Personen zu tun, natürlich auch mit dem Verlust der radikalen oppositionellen Rhetorik, die jede Regierungsbeteiligung mit sich bringt. Vor allem aber hat diese Niederlage mit dem fundamentalen Wandel der PDS zur Linkspartei zu tun.

Die Erfolge der PDS in den 90er-Jahren resultierten aus den Widersprüchen der deutschen Einheit. Die PDS war die Stimme des Ostens – und je ignoranter die Westler über die DDR redeten, desto populärer wurde die PDS. Doch diese Mechanik verliert an Wirkungsmacht. Die DDR wird historisiert. Und damit verschwindet – langsam, aber unaufhaltsam – ein Identitätskern der PDS.

Diese Entwicklung hat sich schon lange angekündigt. Nun ist sie, enorm beschleunigt durch die in Berlin, freundlich gesagt: extrem komplizierte Fusion mit der WASG, abrupt auf dem Wahrnehmungsradar der Ostwähler aufgetaucht. Auch deshalb haben in Marzahn-Hellersdorf, wo 2001 60 Prozent für die Gysi-PDS votierten, nur noch 30 Prozent für die Wolf-Linkspartei gestimmt. Die PDS-Stammklientel merkt, dass das fraglose „Wir“ von früher ausfranst.

Dieser Prozess hat etwas Ironisches. Die PDS, die lange blendend von den Abgründen des Ost-West-Gegensatzes lebte, droht nun selbst in dem Fusionsprozess Opfer einer verzerrten Ost-West-Wahrnehmung zu werden. Vielleicht ist dies, und nicht die Frage „regieren oder nicht regieren“, das schwierigste Problem der Linkspartei. Ob sie im Westen je über die trostlose Existenz einer Splitterpartei hinauskommt, ist ungewiss – wie der Blick auf die Wahl in Bremen 2007 zeigt. Doch im Osten, zumindest in Berlin, schadet ihr die Auflösung der PDS in der Linkspartei schon jetzt.

Diese Niederlage hat mit dem fundamentalen Wandel der PDS zur Linkspartei zu tun

Vielleicht muss man die Niederlage der Berliner Linkspartei noch in einem anderen Koordinatensystem verorten: nämlich der Erzählung vom endlosen Niedergang der Volksparteien. Diese Wahlen haben erneut gezeigt, dass die Wähler der staatspolitische Ernst früherer Tage verlassen hat. Das zeigt etwa der Aufschwung der kleinen Parteien: von der trotzkistischen WASG bis zur Rentnerpartei „Die Grauen“. Verwunderlich wirkt auch, warum die FDP ausgerechnet in Mecklenburg-Vorpommern, das mit Besserverdienenden nicht gesegnet ist, fast zehn Prozent bekommen hat. Die Wähler sind unberechenbar geworden.

Die alte, bundesrepublikanische Norm – man geht zur Wahl und macht sein Kreuzchen bei einer Volkspartei – bleicht aus. Kein Bild hat das augenfälliger gezeigt als das des umjubelten Klaus Wowereit, der mit der SPD in Berlin Schwindel erregende 30 Prozent bekommen hat. Früher galten 30 Prozent als Zeichen für jene „Krise der Volksparteien“ – heute werden sie als Sieg verstanden. Es gibt keine Krise der Volksparteien mehr – die Krise ist der Normalfall geworden.

Und das gilt auch für die Linkspartei, die im Osten eine Volkspartei ist. Auch für sie sind die Zeiten, in denen sie sich auf ihre Stammklientel verlassen konnte, vorbei. Die Basis ist unzuverlässig geworden. Das gilt sogar für die Traditionskompanien der PDS. Die Linkspartei/PDS ist im Osten in der Normalität angekommen. Es gibt Schlimmeres. STEFAN REINECKE