Große Medienschelte

STREIT An den Ereignissen in der Ukraine scheiden sich die Meinungen scharf. Viele LeserInnen halten die taz für einseitig. Fällt die Russlandkritik zu harsch aus? Werden EU und Nato geschont? Werden die Faschisten in der ukrainischen Regierung verharmlost?

■ betr.: „Die Schlacht um die Köpfe“, taz vom 17. 3. 14

„Indoktrination und Propaganda“, nicht nur in Russland, sondern auch in der taz. Egal ob „Selbstverteidigung“ auf der Krim oder nicht: Deutsche, europäische und amerikanische Politik strotzen vor „Drohgebärden“ und Anmaßungen, kein Deut weniger präpotent als Putin, dabei viel verächtlicher als dieser, wenn Steinmeier mitten in den innerukrainischen Auseinandersetzungen sich im dortigen Parlament: groß macht.

„Dauerbeschuss“ auch hier, das Verhalten westlicher Politiker und ihr Komplott mit den ukrainischen Rechten „schrumpft zu einer“ Verteidigung völkerrechtlicher Normen, obwohl es ausschließlich darum geht, strategisch und politisch den Russen zu demonstrieren, dass sie endgültig die Verlierer des Kalten Krieges sind. „Objektivität steht“ nicht für, sie ist „ein irreführendes westliches Konzept“, mit dem eigene, also subjektive Interessen, hinter dem nicht weniger irreführenden Gelaber von Menschenrechten und Verantwortung versteckt werden sollen. Selbstredend ist „Propaganda keine redigierte Fassung von Realität, sondern das Drehbuch fürs weitere Vorgehen“, das ist ihr Sinn und Zweck, der den Blick schon mal vernebeln kann: Keine russische Intervention, sondern die ukrainische Geschichte seit Jahrzehnten hat den „ukrainischen Nationalisten Auftrieb“ gegeben. Höhepunkt der Vernebelungstaktik aber ist der Konjunktiv vor den „Faschisten in Kiew“, obwohl nicht einmal diese selbst ihre faschistoiden Absichten verhehlen.

Und dann muss die Sowjetunion auch noch einen Seitenhieb abbekommen. Aber der dann folgende Satz ist fast ein Eigentor: Wenn irgendwo „Realität und Zukunft“ verschwimmen, dann in dem Land, in dem wir leben, „nicht selten wurde dem angestrebten Paradies höherer Wirklichkeitsgehalt beigemessen als dem bescheidenen unentrinnbaren Sein“ – die ehemaligen DDR-Bürger, die heute noch darauf warten, dass die Landschaften endlich die versprochene Blüte zeigen, und die Millionen Hartz-IV-Empfänger, Arbeitslosen und verelendenden Kinder erleben es jeden Tag. „Wer die Propagandalügen mit Argumenten und Fakten zu entkräften versucht, verleiht der Fiktion erst Wahrheitsgehalt. Mit diesem Mechanismus arbeitete schon der sowjetische Geheimdienst erfolgreich“ – und die CIA seit vielen Jahrzehnten, und der Verfassungsschutz in den sechziger und siebziger Jahren, mit dem Ergebnis vieltausendfacher Berufsverbote, und in den letzten Jahren, als dem NSU argumentativ und faktisch der Raum für ihr Morden geschaffen wurde. GÜNTER REXILIUS,

Mönchengladbach

■ betr.: „Ukrainekrise. Wir müssen draußen bleiben!“, taz vom 18. 3. 14

Die Entwicklungen in der Ukraine werden immer beunruhigender. Wenn es zu einem Krieg in Europa oder in der Welt kommen sollte, was entgegen allen Versicherungen immer wahrscheinlicher wird, werde ich später bezeugen können, dass die EU und die Nato durch ihre unüberlegte und voreilige Haltung dafür mindestens so verantwortlich sind wie das russische Vorgehen auf der Krim – vorausgesetzt, ich kann dann noch etwas sagen. Es ist doch eine Ironie: Nach dem Ersten Weltkrieg glaubte man einen weiteren Krieg zu verhindern, indem man Deutschland als vermeintlich Hauptschuldigen bestrafte und blockierte. Doch wurden dadurch der Faschismus in Deutschland und somit der Zweite Weltkrieg forciert bzw. ausgelöst. Seit dem Zweiten Weltkrieg denkt man, alle „Hitlers“ rechtzeitig stoppen zu müssen, um Schlimmeres zu verhindern. Aber gerade diese verzerrte Fehleinschätzung der Krimkrise könnte in einen neuen Weltkrieg führen. MATHIAS NAGEL, Hamburg

■ betr.: „Ukrainer verlassen die Krim“, taz.de vom 20. 3. 14

Ab dem Moment, ab dem klar ist, dass die Minderheitenrechte auf der Krim ebenso verletzt werden wie in der Ukraine selbst, ab diesem Moment ist es Zeit für den Westen zu reagieren. Und nicht dann, wenn irgendwelche bürokratischen Formalien verletzt werden, die letztendlich nur den Zweck hatten, die Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim zu schützen. Ab dem Moment, an dem sich diese Mehrheit genauso gegenüber Minderheiten verhält wie die Ukraine gegenüber der russischsprachigen Bevölkerung, kann der Westen reagieren und auf Putin und seine Vasallen einwirken (zum Beispiel Gerhard Schröder sämtliche Konten sperren und ihn von Hartz IV leben lassen). Und natürlich der Ukraine alle zugesagten Hilfsmittel sperren, bis in beiden Teilen auch die Minderheiten ihre Rechte erhalten. Aber ach: Das wäre ja so, als würden in der EU Ungarn, Tschechien, Rumänien und Kroatien für ihre Behandlung der Roma sanktioniert werden oder Litauen für seine identischen Gesetze wie Russland bezüglich Homosexualität. Es zeigt sich, dass die EU auch eine Institution bleibt, der die Menschenrechte der Bevölkerung vollkommen egal sind. ÅGE KRÜGER, taz.de

■ betr.: „Den Preis für Putin in die Höhe treiben“, taz vom 18. 3. 14

Der heutige Kommentar zum Ukrainekonflikt von Barbara Oertel trieft ja geradezu vor Russland-Putin-Abscheu. So wie den Großteil der Berichterstattung zu diesem Thema empfinde ich ihn als absolut einseitig. Den Artikel vom 17. 3, „Leb wohl, Krim!“, hätte ich nicht einmal der Brigitte zugetraut. Mit dem Leserbrief („Wenn zwei das Gleiche tun …) von Walter Ruffler, Bremen, kann ich mich dagegen recht gut identifizieren. MARION MEYFAHRT, Kassel

■ betr.: „Das Spiel mit dem Gashahn“, taz vom 20. 3. 14

In dem Artikel konzentrieren sich Ingo Arzt und Julia Neumann nur auf den Aspekt der Gasversorgung durch die Gazprom. Natürlich ist die Abhängigkeit von Gazprom und die Übernahme von Gashandel und Gasspeicherung in Deutschland von Wintershall bedenklich. Aber es ist nicht nur der Zugriff auf den größten Gasspeicher Westeuropas in Deutschland, sondern auch über Tochtergesellschaften werden teilweise die Gasspeicher Österreichs und Italiens gleich mitverkauft. Selbst wenn die Gazprom kein Interesse daran hat, die Gaslieferungen zu drosseln, so stellen die Speicher und Netze eine strategische Bedeutung für die künftige Energiewende dar. Nur mit dem Zugriff darauf ist es möglich, das fluktuierende Angebot der Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie in Wasserstoff oder Methangas umzuwandeln, zu speichern und bei Bedarf wieder zu verstromen. Diese Technologie wird als „Power-to-Gas“ bezeichnet.

Die Deutsche Energie-Agentur GmbH (kurz dena) wurde von der Bundesregierung installiert und beauftragt, die Power-to-Gas-Technologie als Systemlösung zu entwickeln. Die energiepolitischen Zielstellungen der Energiewende für die verschiedenen Nutzungsbereiche wie Mobilität, Stromerzeugung usw. sind nur mit dieser Technologie zu erreichen. Wenn diese strategisch wichtigen Speicher und Leitungen dem deutschen Staat durch den Verkauf entzogen werden, dann bestimmt Gazprom, wie die Energiewende in Deutschland aussehen wird. In der Folge wird wahrscheinlich die Kohleverstromung verstärkt und die Atomkraft wird eine Renaissance erleben, ganz im Sinne der großen Energieversorger. Nicht nur das EEG zu versenken, sondern auch gleichzeitig dem Verkauf der nötigen Infrastruktur für die Energiewende zuzustimmen und damit ein Rollback für die fossilen und atomaren Kraftwerke einzuleiten, ist eine ausgeklügelte Meisterleistung unserer Bundesregierung. ULRICH FECHNER, Hohenbrunn

■ betr.: „Propaganda im sowjetischen Stil“, taz vom 17. 3. 14

Der Große Vaterländische Krieg hat sich tief in das kollektive russische Gedächtnis eingegraben. Die Verbrechen von Wehrmacht und SS sind gut dokumentiert, die Schuld Deutschlands ist eindeutig. Doch gibt es historische Nuancen, die gerade bei einer Instrumentalisierung dieser Zeit benannt werden sollten: 1. In der Sowjetunion bestand ein politisches System, welches auch seinerseits auf Massenterror und Lagerhaft aufgebaut hat. Noch 8 Jahre nach dem Sieg über Hitlerdeutschland wurden in der Sowjetunion antisemitisch ausgerichtete Schauprozesse inszeniert. 2. Die militärische Schwäche zu Beginn des Kriegs gegenüber Deutschland war hausgemacht: Eine Säuberungswelle innerhalb der Roten Armee hatte dieser der fähigsten Köpfe beraubt. 3. Es war die Sowjetunion, die im sogenannten Stalin-Hitler-Pakt, einem Nichtangriffsvertrag erweitert durch einen Grenz- und Freundschaftsvertrag, nicht allein eigene territoriale Ansprüche durchsetzte, Gebiete Polens besetzte und in Katyn einen beispiellosen Massenmord vollstreckte. Erst dieses Abkommen zwischen Sowjetunion und Deutschland machte den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs möglich. Im Andenken an die zahllosen Opfer des Kriegs, des nationalsozialistischen und stalinistischen Terrors und im Ernstnehmen aktueller rechtsextremer Gefahren verbietet sich ein verantwortungsloses Spiel mit historischen Katastrophen von selbst. MICHAEL KLEIM, Gera

■ betr.: „Rechter Sektor trifft auf Oplot“, taz.de vom 19. 3. 14

Mein Eindruck ist, dass die echten Demokraten in der Ukraine derzeit kopflos sind. Es sind nicht wenige, die sich deutlich von den Nationalisten, aber auch von Vitali Klitschko (EU) und teilweise von Julia Timoschenko distanzieren.

Hier herrscht zurzeit ein Vakuum, was voraussichtlich bis zur Wahl nicht gefüllt sein wird. Ich kann dies so aus familiärer Quelle wiedergeben (Region Lemberg) und ich befürchte, die große demokratische Strömung wird sich der Timoschenko-Partei hingeben, ehe sich eigene Köpfe herausheben. Diese scheint aber bis jetzt das kleinere Übel zu sein.

Die Ukraine ist offenbar gerade das reinste politische Lagerchaos, und ich hoffe nur, es geht am 25. Mai nicht zugunsten der Nationalisten und Faschisten aus. anamolie, taz.de