„Baseball ist Krieg“

SPORTHISTORIE Wie der Unternehmer Albert Goodwill Spalding im Stile eines Strategen den Cricketsport in den Vereinigten Staaten desavouierte und dafür seinen geliebten Baseball groß machte. Er schuf nicht nur eine Profiliga, sondern baute auch gleich noch ein Sportartikelimperium auf

■ Spielbetrieb: Am Samstag geht die Major League Baseball in ihre 113. Saison. Das Eröffnungsspiel bestreiten die Los Angeles Dodgers und die Arizona Diamondbacks im australischen Sydney. Bis September muss dann jedes der 30 Teams 162 Spiele bestreiten. Dann geht es in die Playoffs, an deren Ende sich 2013 die Boston Red Sox als Sieger der World Series feiern lassen konnten.

■ Business: 5 Milliarden US-Dollar werden in der MLB pro Saison umgesetzt. Damit liegt sie im Weltranking der Sportligen, das die Wirtschaftsprüfer von Deloitte errechnet haben, hinter der National Football League auf Platz zwei.

■ Doping: Raus ist Alex Rodríguez von den New York Yankees. Der Topverdiener der Liga (30 Millionen Dollar pro Saison) ist für 162 Spiele gesperrt worden. Drin ist wieder der ewige Dopingleugner Barry Bonds. Der ungeliebte Homerun-König der MLB, war Übungsleiter beim Trainingscamp der San Francisco Giants.

VON PETER MÜNDER

Wenn der Basketballstar Dirk Nowitzki sich für seine Dallas Mavericks in die Luft schraubt und den großen hellbraunen Ball in den Korb zwirbelt, dann ist der auf dem Ball fett aufgedruckte Markenname Spalding garantiert unübersehbar.

Auch bei Baseballspielen, beim American Football, Volleyball oder beim amerikanischen Soccer ist auf den verwendeten Schlägern und Bällen der Name des US-Sportartikelherstellers zu sehen. Für fast alle Sportarten liefert die Firma Schläger, Bälle, Handschuhe, Hemden und komplette Ausrüstungen, sodass man getrost von einer Art Monopolstellung der Firma in den USA sprechen kann. Wer aber war dieser umtriebige, geschäftstüchtige Sportler, Funktionär und Unternehmer, der mit seinen guten politischen Beziehungen bis ins Weiße Haus und mit seiner gnadenlosen Vermarktungsstrategie jederzeit als leuchtendes Vorbild von Formel-1-Mogul Bernie Ecclestone oder dem umstrittenen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter durchgehen könnte?

Albert Goodwill Spalding (1850 bis 1915) organisierte eine schöne neue Sportwelt, die ganz auf sein eigenes profitables Renditekalkül zugeschnitten war. Und auf die Verhöhnung und den Niedergang des um 1900 noch populären Konkurrenzsports Cricket, der für Spalding eine lächerliche Freizeitbeschäftigung für verweichlichte Milchbubis war.

Saubere Bubis

So höhnte er etwa in seinem 1911 veröffentlichten Band „America’s National Game“: „Wenn der britische Cricketspieler mittags sein Tagewerk vollbracht hat, sein Negligé anlegt, die weißen Hosen mitsamt den schmucken Strümpfen überstreift und die Leinenschuhe festschnürt, dann zieht er mit seinem Mädel an einem Arm und dem Cricketschläger am anderen zum Sportplatz, wohl wissend, dass er bei seinem Nationalsport seinen Dress nicht beschmutzen und die Dame seines Herzens nicht vernachlässigen wird.“ Weiter schreibt er: „Wenn aber der amerikanische Baseballspieler seinen Dress überzieht, verabschiedet er sich von der Gesellschaft und verwandelt sich in einen einfachen Ballspieler! Er weiß, dass es sein Business ist, sich auf den Ball zu konzentrieren.“ Cricket sei „ein Zeitvertreib für sanftmütige Schöngeister – Baseball ist Krieg!“

Der aus Illinois stammende Spalding war nicht nur ein guter Baseballspieler bei den Boston Red Stockings und den Chicago White Stockings, der 1939 posthum in die Hall of Fame aufgenommen wurde, sondern auch umtriebiger Unternehmer und National-League-Funktionär. Seine Sportartikelfirma an der New Yorker 5th Avenue besteht immer noch, inzwischen gehören auch Ledertäschchen, exquisite Uhren und andere Accessoires zum Luxusrepertoire, das wohl schon der große Gatsby goutierte.

Spalding organisierte eine effiziente Baseballliga, er gab die offiziellen Baseballspielregeln als Büchlein heraus, und er organisierte 1888 und 1889 eine spektakuläre, medienwirksame Baseballtour über Hawaii, Neuseeland, Australien, Ceylon, Ägypten, Italien, Frankreich und England rund um die Welt und wurde bei der Rückkehr mit seinem Team in New York, Philadelphia und Chicago mit bombastischen Paraden und Staatsbanketten gefeiert, bei denen auch Teddy Roosevelt, der Baseballfan Mark Twain, diverse Lokalpolitiker, Baseballoffizielle, Yale-Studenten und Mitarbeiter der New Yorker Börse anwesend waren.

Gleichzeitig produzierte Spalding alle Sportartikel, die junge Sportler so brauchten – vom Baseballschläger bis zum Football, vom Tennisschläger bis zum Baseballhandschuh, den er selbst als Erster benutzte und bei seinen Spielen als unerlässliches Utensil vorführte. Der notorische Selbstvermarkter ließ dann auch in den Spielregeln festschreiben, welche seiner Sportartikel zu benutzen waren.

Schon bevor er 1900 von Präsident McKinley beauftragt wurde, als US-Vertreter bei den Olympischen Spielen in Paris für Baseball als olympische Disziplin zu werben, hatte Spalding längst die kommerziellen Aspekte des Baseballs im Visier: Die Zuschauer strömten zu Tausenden in die Stadien, um spannende Spiele zu sehen, und waren auch bereit, dafür ein paar Dollar springen zu lassen. Und diese Event-Schiene bediente er mit einem Rundum-Paket: Mit einer neuen Liga und professionellen Spielern, mit einem Baseballmagazin, mit seinen Stores und all den dazugehörigen Sportartikeln.

Spalding kannte keine Hemmungen, wenn es darum ging, gegen Cricket zu polemisieren: Er sah Baseball als rein amerikanischen, männlichen Sport und mokierte sich über angeblich feminine Typen, die in weißen Hosen statt zum Tee zum Cricketrasen marschierten. Die Diskussion über die Ursprünge von Cricket und Baseball und darüber, ob etwa das englische Schlagballspiel „Rounders“, das bei Kindern und Gouvernanten sehr beliebt war, die gemeinsame Mutter von Cricket und Baseball war, versetzte ihn in Rage: Das durfte einfach nicht sein, und so sorgte er dafür, dass die amerikanische Sportgeschichte neu geschrieben werden musste.

Nachdem er eine Historikerkommission installiert hatte, die einen amerikanischen „Erfinder“ des Baseball eruieren sollte, kam diese Revisionistentruppe nach dreijähriger Recherche zu dem grotesken Ergebnis, dass Baseball vom berühmten Bürgerkriegsgeneral Abner Doubleday aus Cooperstown, dem späteren Sitz der Baseball Hall of Fame, erfunden wurde. Weder Doubleday noch andere Experten hatten dies bis dahin je behauptet, aber Spalding wollte für den populären amerikanischen Nationalsport unbedingt einen patriotischen Vorzeigepromi als Erfinder haben.

Als modifizierte Cricketvariante und Vorbild des „uramerikanischen“ Baseballs hätte er diese nach seiner Ansicht eher tuntige Freizeitaktivität für Memmen nie gelten lassen. Zu Spaldings überheblicher Kritik am Cricket-Outfit sei nur bemerkt, dass das typische Baseballdress ja wie eine Kombination aus Pyjama und Knickerbocker anmutet, aber das ist wieder ein anderes Thema, das Kostümexperten und Spalding-Fans diskutieren sollten.

Baseballpropagandist Spalding polemisierte hemmungslos gegen Cricket. Da würden feminine Typen in weißen Hosen statt zum Tee zum Cricket- rasen marschieren

Wahrscheinlich führte Spaldings reaktionär-chauvinistische, mit großer öffentlicher und medialer Begeisterung unterstützte Einstellung dazu, dass der mit Spalding gut bekannte Mark Twain seine Idealisierung von Baseball als zivilisationsförderndem Sport verwarf. Twain war zusehends desillusioniert ob der rapide zunehmenden Kommerzialisierung im Baseball. Und er war auch entsetzt, dass die Vorurteile gegenüber Schwarzen sich über Jahrzehnte perpetuierten und Schwarze von Spielen in der Major League strikt ausgeschlossen waren.

Reaktionäres Potenzial

Erst 1947 erstritt Jackie Robinson von den Brooklyn Dodgers ein Gerichtsurteil, das ihm die Teilnahme in der Major League erlaubte. Bis dahin durften Schwarze nur in den segregierten „Negro Leagues“ spielen. In seiner satirischen Erzählung „A Connecticut Yankee at King Arthur’s Court“ (1889) hatte Twain ja noch im 40. Kapitel ironisch demonstrieren wollen, mit welch demokratisch-revolutionärem Impetus der Baseballsport unter den britischen Royalisten die Klassenschranken niederreißen würde. Und er hatte zuvor regelmäßig in das selbe PR-Horn wie Spalding gestoßen und Baseball als „vollkommenen Ausdruck eines neuen, dynamischen und vorwärts stürmenden Jahrhunderts“ gepriesen.

Auf seiner ausgiebigen Englandreise hatte Mark Twain zwar einige Cricket-Matches gesehen, doch mit diesem Spiel konnte er sich nicht anfreunden. Ähnlich wie Spalding mokierte sich der amerikanische Humorist in etlichen verkrampft-satirischen Impressionen über die Regeln, die Wickets und das Outfit der Cricketer.

Der Baseballpropagandist Albert Spalding war übrigens 1900 nach San Diego übergesiedelt und Theosoph geworden. In den am Meer gelegenen Sunset Cliffs erbaute er ein riesiges Anwesen mit einem historischen Park. Dort starb er 1915.