Wo Mensch und Tier schwitzen

EXKLUSIV Diese Woche erscheint der aktuelle Bericht des UN-Klimarats, detailliert wie nie. Diesmal schlagen die Forscher Maßnahmen vor

Die Regionen sind ganz unterschiedlich betroffen – und noch unterschiedlicher gewappnet

VON BERNHARD PÖTTER

Es ist eine nüchterne Grafik, aber sie sagt eine Katastrophe voraus: Viele Gattungen von Tieren und Pflanzen werden in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts von einem ungebremsten Klimawandel schlicht überrollt. Ihre Lebensräume können der Erwärmung meist nicht ausreichend schnell in kältere Zonen ausweichen. Am schlimmsten trifft es die Bäume, Kräuter, aber auch Nagetiere und Primaten (dazu gehören die Affen): Sie sind auf langsam wandernde Biotope angewiesen. Schnecken hingegen sind flexibler und damit schneller.

Dieses Schaubild findet sich im neuesten Report des UN-Klimarats IPCC, der in der nächsten Woche im japanischen Yokohama abschließend beraten wird. Im sogenannten 5. Sachstandsbericht haben hunderte Forscher den neuesten Kenntnisstand zum Klimawandel zusammengetragen und präsentieren diesen in der Arbeitsgruppe II, „Auswirkungen, Anfälligkeiten und Anpassungsmaßnahmen“.

Die vertrauliche Endfassung des Berichts, die der taz vorliegt, ist eine überdeutliche Warnung. Es geht nicht nur um Bienen und Blumen: Auch für viele Menschen in den Tropen, in Küstenstädten auf Inseln und in armen Regionen, für Kranke und Alte kann der Klimawandel existenzbedrohend werden.

Die Forscher haben deutlich mehr Daten als beim letzten Bericht 2007, und sie sehen den Klimawandel bereits am Werk: „Zunehmendes Baumsterben“ in manchen Gegenden, „die Ausrottung vieler Amphibienspezies in Mittelamerika“, ein veränderter Wasserkreislauf durch schmelzende Eisflächen und verschobene Regenzeiten. Zwar gebe es auch einzelne positive Auswirkungen einer wärmeren Welt in der Landwirtschaft (bessere Wachstumsphasen) und bei der Gesundheit (weniger Kältetote). Aber „die negativen Auswirkungen bei der Landwirtschaft“ würden überwiegen, und der Klimawandel trage allgemein „zu einer schlechteren menschlichen Gesundheit“ bei.

Was tun? Der IPCC rät zur Anpassung nach dem Modell der nachhaltigen Entwicklung: Kurz- und mittelfristig könnten die Auswirkungen des Klimawandels durch Fortschritte auf anderen Gebieten abgemildert werden: Zugang zu sauberem Wasser, Bau von Abwassersystemen, besseres Saatgut, mehr Bildung und Mitsprache der Bevölkerung, bessere Vorwarnsysteme bei Unwettern, Kredite für Kleinbauern, bessere Waldpolitik, weniger Korruption.

Ohne Maßnahmen drohen bereits um 2030 teilweise schwere Risiken, warnt der Report der Wissenschaftler die Regierungen: Etwa bei den Ernteerträgen in Teilen Afrikas und Lateinamerikas, bei der Anfälligkeit gegenüber Hitzewellen in Europa oder dem Risiko von Waldbränden in Nordamerika.

Zum ersten Mal nennt der Bericht konkrete Bedrohungen, Gebiete und Opfergruppen, aber auch „systemische Risiken“, wenn etwa in einer Großstadt nach Überflutung oder Sturmflut die Versorgung zusammenbricht.

Wie gut sind einzelne Regionen gewappnet? Ganz unterschiedlich, befinden die Forscher: In Europa seien Anpassungsmaßnahmen wie Deichbau und eine andere Landwirtschaft immerhin in der Planung, in Australien sorge man für den Fall, dass das Wasser zurückgeht, vor, in Nord- und Südamerika beginne das Planen langsam.

Dagegen setzten Regierungen in Afrika Gegenmaßnahmen wie Katastrophenschutz, angepasste Landwirtschaft oder neue Technologien „hauptsächlich in isolierten Anstrengungen“ um. In der Arktis, wo der Klimawandel am schnellsten zuschlägt, zeigten sich „beispiellose Herausforderungen“ – eine Umschreibung für totale Überforderung.

Die Ungerechtigkeit im Klimawandel zwischen den reichen Industriestaaten (die einen großen Teil des Problems verursacht haben) und den armen Ländern zeigt sich auch konkret in zwei anderen Fällen: Die Niederschläge werden gerade in den trockenen Gebieten weniger, in den gemäßigten Zonen nehmen sie zu. Und die Fischschwärme, wichtigste Quelle von Proteinen für viele Menschen in Afrika und Asien, wandern aus den wärmeren Meeren am Äquator nach Norden und Süden – in die Netze von Europäern und Amerikanern.

Die IPCC-Forscher unterfüttern ihre Aussagen mit harten Zahlen. Ob mit oder ohne Anpassung werde der Klimawandel „die mittleren Ernteerträge um 0 bis 2 Prozent pro Dekade reduzieren“, heißt es – in einer Zeit, wo die Nachfrage nach Lebensmitteln um 14 Prozent pro Jahrzehnt steigen soll. Ein Temperaturanstieg von 2,5 Grad Celsius (nach vielen Prognosen ohnehin kaum noch zu vermeiden) „könnte zu globalen Einkommensverlusten von 0,2 bis 2 Prozent führen“, schreiben die Wissenschaftler mit „mittlerer Gewissheit“. Jeder weitere Temperaturanstieg werde teurer, aber um wie viel, da gibt es keine Einigkeit.

Die Investition in Klimaschutz würde sich also lohnen: 2009 hatte der britische Ökonom Sir Nicholas Stern gemahnt, mit jährlich nur 1 Prozent des weltweiten Wirtschaftsprodukts ließe sich der Klimawandel bremsen. Das ist also nur die Hälfte der mit den jetzigen Emissionen schon eintretenden Schäden durch die Temperaturerhöhung.

Und auch eine andere Zahl des IPCC wird für Furore sorgen. Denn für die Anpassung an den Klimawandel steht nach diesen Berechnungen viel zu wenig Geld zur Verfügung. Allein für die Entwicklungsländer schätzt das Expertengremium jährliche Kosten von 70 bis 100 Milliarden Dollar. Eine solche Summe – 100 Milliarden Dollar – haben die Industrieländer ab 2020 versprochen. Allerdings für die gesamte Klimafinanzierung: Also für saubere Kraftwerke, Hilfe bei Technologietransfer, dem Aufbau von Verwaltungen, für private Investitionen, Versicherungsfonds und Entschädigungen. Anpassung ist da nur ein Kapitel unter vielen.