Das Puzzlespiel beginnt

Klaus Wowereit wird entweder mit der PDS oder mit den Grünen koalieren. Heute startet das erste Sondierungsgespräch. Aber was bedeuten beide Bündnisoptionen für die Stadt? Klar ist: Die Unterschiede sind manchmal überraschend gering

SCHULEN: Die Einführung einer Gemeinschaftsschule für alle Schüler bis zur 10. oder gar 12. Klasse gehörte zu dem, was die PDS im Wahlkampf ihre „Essentials“ nannte. Die SPD, die vor allem Gymnasien nicht anrühren mag, kann sich damit nicht anfreunden. Aber Achtung: Schulen sollen das Modell zunächst „auf freiwilliger Grundlage erproben“, steht im Wahlprogramm der PDS. Eine endgültige Entscheidung solle erst im Schuljahr 2011/12 fallen. Zurückrudern kann man es deshalb nicht wirklich nennen, wenn die Vize-Fraktionschefin Carola Bluhm jetzt zum Thema Gemeinschaftsschule sagt, Voraussetzung für eine Koalition sei „die Bereitschaft zum Einstieg“. AWI

SCHULEN: Bildung war das Thema im Wahlkampf der Grünen. Während aber Özcan Mutlu, der Bildungsexperte der Fraktion, für die Gemeinschaftsschule plädierte, blieb die Spitzenkandidatin in ihren Stellungnahmen dazu eher vage. In möglichen Koalitionsverhandlungen bleibe Bildung ein zentrales Anliegen, sagt Almut Tharan, die grüne Landeschefin. „Strukturveränderungen und Qualitätsverbesserungen“ strebe man an, dazu seien „weitere finanzielle Mittel“ nötig. Deutlicher festlegen mag sich die Spitzengrüne nicht – auch nicht zur Gemeinschaftsschule. Als Erstes sei die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen denkbar, so Tharan. Damit könnte wohl auch die SPD leben. AWI

UNIVERSITÄTEN: Die Streitfrage in der Hochschulpolitik heißt Studiengebühren. Der alte Koalitionsvertrag schloss ein Bezahlstudium aus. Ein neues rot-rotes Bündnis macht die Einführung der so genannten Studienkonten wahrscheinlich. Das Modell, das Langzeit- und Zweitstudenten zur Kasse bittet, wird seit langem von der SPD favorisiert und hat auch in der Linkspartei Befürworter. Wissenschaftssenator Thomas Flierl scheiterte mit seinem Studienkonten-Modell am Widerstand der Parteibasis. Streit wird es allenfalls um die Einführung allgemeiner Studiengebühren geben, für die sich Wowereit und Sarrazin offen einsetzen. Die PDS lehnt sie ab. API

UNIVERSITÄTEN: Auch den Grünen gegenüber wird die SPD auf der Einführung von Studiengebühren bestehen. Doch dies stünde in krassem Widerspruch zum Programm der Grünen, das sich klar gegen alle Arten von Studiengebühren ausspricht. Als Oppositionspartei unterstützten die Grünen Studentenproteste gegen Rot-Rot, die sich auch gegen das Studienkonten-Modell richteten. Wähler und Basis würden ein Umfallen gegenüber der SPD nicht goutieren. Grünen Widerstand darf die SPD auch bei ihrer bisherigen Praxis der Neustrukturierung der Lehrerausbildung und der Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge an den Hochschulen erwarten. API

PRIVATISIERUNG: Die PDS hat im Wahlkampf das Versprechen, landeseigene Betriebe wie Vivantes, BVG oder Wohnungsbaugesellschaften keinesfalls zu privatisieren, demonstrativ vor sich hergetragen. Die SPD sieht das im Prinzip genauso, sie schreibt sogar Träumereien wie den Rückkauf der Wasserbetriebe in ihr Programm. Aber klar ist: Die Sozialdemokraten wären, wenn’s hart auf hart kommt, flexibler. Bei den Wohnungsbaugesellschaften sind zum Beispiel weitere Notverkäufe wahrscheinlich, weil einige der Betriebe Schulden angehäuft haben. Bei der strikten PDS-Haltung könnte es in dem Neubündnis knirschen – zumal die PDS-Basis hier empfindlich reagiert. US

PRIVATISIERUNG: Mit den Grünen könnte die SPD weitere Verkäufe schneller und unkompliziert regeln. Die Ökopartei will einen Mindestbestand an landeseigenen Wohnungen, aber gleichzeitig die Wohnungsunternehmen durch Verkäufe entschulden. Bei der BVG wollen die Grünen wesentlich radikaler zu Werke gehen als die rot-rote Koalition, indem sie Netz und Betrieb trennen. Will heißen: Sie wollen nur das Netz – also Bahnhöfe und Gleise – im Landesbesitz lassen und darauf verschiedene Verkehrsbetriebe fahren lassen. Bei dem angedachten Tempo schlackern manchem SPDler die Ohren, denn die Genossen wissen: Tausende BVG-Beschäftigte wählen SPD. US

ARBEIT/WIRTSCHAFT: Alles, was mit Hartz IV zu tun hat, haben die Grünen im Bund beschlossen – auch wenn der Landesverband das gerne vergisst. Sie könnten Wowereit also nicht die Ohren voll motzen, wie es die PDS manchmal tut. Die Grünen setzen – wie die SPD – auf Kultur-, Medien- und Gesundheitswirtschaft. Ebenso wie die PDS wären sie in einem Bündnis mit der SPD der ideenreiche Partner, sowohl bei öffentlich bezuschussten Jobs als auch bei neuen Arbeitsformen wie gemeinnützigen Aufgaben. Fazit: Unter Rot-Grün würde sich nicht viel ändern – dafür sind PDS und Grüne in zu vielen Punkten d’accord. Und die Wirtschaft macht eh, was sie will. US

ARBEIT/WIRTSCHAFT: Alles, was mit Hartz IV zu tun hat, ist für die PDS ein rotes Tuch – zum Beispiel 1-Euro-Jobs. Dennoch haben sich die Genossen mit der Hartz-IV-Partei SPD im Land gut arrangiert und würden es weiter tun. Wichtig ist der PDS der Einstieg in einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt: Sie zapft mehrere Töpfe an, um sozialversicherungspflichtige Jobs zu schaffen. Die SPDler lassen sie gewähren. Ihre Rezepte sind die üblichen: bessere Vermittlung, mehr Weiterbildung, Kündigungsschutz für alle. Beide Parteien sind sich einig, in Berlin manche Branchen besonders zu fördern, etwa die Gesundheits- oder Medienwirtschaft. US

KULTUR: Die rot-rote Koalition würde ihre zentralen kulturpolitischen Themen fortsetzen. Zum einen ist geplant, die Gedenkstätten und die Gedenkkultur für die Zeit nach 1961 auszubauen. Thomas Flierls Mauergedenkkonzept käme auf den Weg. Dies, die Förderung der jungen Szene sowie eines Tanzhauses provozierten keine Widersprüche der SPD. Auch nicht, dass der Bund bei der Finanzierung kultureller Aufgaben weiter in die Pflicht genommen werden soll. Während die PDS den Erhalt der drei Opernhäuser samt Opernstiftung und die Sicherung der städtischen Bühnen wichtig findet, hat Klaus Wowereit signalisiert, die Opernstiftung müsse auf den Prüfstand. ROLA

KULTUR: Eine wesentlich andere Kulturpolitik würde auch eine rot-grüne Regierung nicht anstreben. Sie könnte es auch gar nicht: Die finanziellen Mittel des Ressorts sind bescheiden. Außerdem wäre sicher auch ein roter/grüner Kultursenator daran interessiert, Geld vom Bund zu erhalten – zum Beispiel für den Hauptstadtkulturfonds. Alice Ströver, die grüne Kulturfachfrau der Fraktion, gilt als kompetent und hat einen guten Draht zur Kunst- und Projektszene. In einem rot-grünen Bündnis könnte die Opernstiftung neu debattiert werden. Sowohl SPD-Politiker als auch Grüne sehen die Zukunft der Stiftung und ihres Intendanten Michael Schindhelm kritisch. ROLA