neues aus neuseeland: ein deutscher morgen ohne stürmer von ANKE RICHTER
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Heute ist so ein Morgen, wo mir meine Heimat schon beim Frühstück ins Gesicht springt. Der Auslandsteil der Tagespostille ist fest in deutscher Hand. Seite zwei: „Holocaust-Geschwister vereint“. Seite drei: Oktoberfest. Ein Foto von drallen Madeln, eingedirndelt von „German fashion designer Verona Pooth“ – ha, wenn die wüssten! Seite fünf der Papst. Mein Müsli kleckert auf Big Benedict.

Ich hoffe, auch Alex oder Angus oder Alfred liest heute Zeitung und lernt dazu. Der Mann, dessen Namen ich verdränge, saß bei einem Abendessen neben mir. Als Busunternehmer erzählte er in epischer Breite davon, wie prima sich Neuseelands Rentner durch die Gegend kutschieren lassen. Spannend. Es folgte das nahe liegende „Und was machen Sie so?“ Ich: „Auslandskorrespondentin.“ Er, interessiert: „Schreiben Sie auch für Der Stürmer?“ Ich: sprachlos. Er: „Das ist die einzige deutsche Zeitung, die ich kenne.“ Ich, gequetscht: „Über 60 Jahre her. Andere Regierung. Führer tot.“ An den Rest des Abends erinnere ich mich kaum. Viel Alkohol und wenig Konversation mit Alex, Angus oder Alfred.

So ein Abend und so ein Morgen runden mein Herkunftstrauma ab. Jedes Druckwerk, das ich aufschlage, hat irgendwo einen peinlichen oder faschistischen Deutschen versteckt. Ich ertappe mich dabei, wie ich Texte nach dem großen „G“ überfliege: Heißt es „German“, heißt es nichts Gutes. Im Roman eines jungen Schreiberlings über seine Rucksackreise von Kiwi-Geysir zu Gletscher tauchen die üblichen Gestalten auf: arroganter Franzose, sarkastischer Engländer, trampelige, verbissene Deutsche. Welche Freude löste da neulich ein Artikel über den Kölner Verleger Benedikt Taschen aus: Lässig fläzte er sich zum Interview, ganz Kosmopolit, in feinem Tuch im Designersessel. Endlich mal germanisch und dennoch cool. Solche Bens lob ich mir.

Zur Imagepolitur trug dagegen das Literaturfestival in Christchurch wenig bei. Neben Stimmen aus dem Pazifik zog sich eine Nation wie eine Blutspur durchs Programm. Ein Schriftsteller, der ein Jahr mit Stipendium in Berlin weilte, stellte sein Buch über entgleiste Nazi-Künstler vor. Eine Podiumsdiskussion vereinte Autoren zum Palaver über den zweiten Weltkrieg. Zwei berichteten aus der Sicht der Soldaten, die für England gegen Hitler kämpften. Zeit für Helden. In der Mittagspause las eine Dichterin, die ebenfalls Berlin besuchte. Das „dunkle Land“ schien ihr seltsam bedrohlich.

Stargast war Anna Funder mit „Stasiland“. Der Saal hing an ihren hübschen Lippen, als die Australierin das Gruselkabinett hinter der Mauer schilderte. „Ist all das typisch deutsch?“, fragte ein Zuhörer anschließend. Neben mir saß Lehrer Ecki aus Leipzig, der auf den Montagsdemos gewesen war. Er versank tiefer in seinem Stuhl. „Komme mir vor wie ein Tier aus’m Zoo“, murmelte er. Später an diesem heimatverbundenen Morgen flattert eine Einladung mit goldenem Bundesadler ins Haus. Empfang zum Tag der Deutschen Einheit mit dem Botschafter. Ich brauche Musik und lege die Lassie Singers auf. Jahrelang nicht gehört, die Mädels ohne Dirndl. „Du sexy Hamburg!“, gröhle ich mit. Das glaubt mir doch keiner.