Ende der Krise. Und nun?

Nach dem Putsch ist in Thailands Hauptstadt wieder Ruhe eingekehrt. Sonthi Boonyaratglin, der neue starke Mann, verspricht Neuwahlen

„Wir haben die Macht übernommen“, hat Putschist Sonthi verkündetEs kursieren Gerüchte, Thaksin wollein London umAsyl bitten

VON NICOLA GLASS

Gespannte Ruhe in Thailand. Nach ihrem Putsch hat die Armee gestern ein landesweites Versammlungsverbot verhängt. Außerdem werden ab sofort die Medien – in- und ausländische – zensiert. General Sonthi Boonyaratglin, der Initiator des Umsturzes, erklärte in einer öffentlichen Rede, die Thaksin-Regierung sei gestürzt worden, um die Einheit des Landes zu bewahren.

„Wir haben die Macht übernommen“, sagte Sonthi, „Senat, Kabinett, Repräsentantenhaus und Verfassungsgericht sind abgesetzt.“ In der Online-Ausgabe der thailändischen Zeitung The Nation kündigte er an, binnen zwei Wochen eine zivile Regierung einsetzen zu wollen. Auch sollen, nach einer Verfassungsänderung, im Oktober 2007 Wahlen stattfinden.

Die Regierung unter Thaksin Shinawatra habe eine „beispiellose Kluft in der Gesellschaft“ herbeigeführt, sagte Sonthi weiter, außerdem sei sie für beispiellose Korruption verantwortlich. Mehrere enge Vertraute Thaksins sind mittlerweile festgenommen worden, darunter der stellvertretende Ministerpräsident und bisherige Justizminister Chidchai Vannasathit.

Die Putschisten hatten in der Nacht zu Mittwoch die Macht übernommen. Vor dem Regierungssitz in Bangkok bezogen Panzer Stellung. Die Streitkräfte, hieß es bereits Dienstagnacht, hätten einen „Rat für Verwaltungsreformen“ als provisorische Regierung eingesetzt, der über den künftigen politischen Kurs entscheiden solle. Gleichzeitig erklärte sich der vorwiegend aus Militärs bestehende Rat als „loyal zum König“, dem von seinen Landsleuten hochverehrten Bhumipol Adulyadej.

Fraglich ist, ob der entmachtete Regierungschef Thaksin Shinawatra überhaupt nach Thailand zurück fliegen wird. Er hielt sich in der Putschnacht anlässlich der UN-Vollversammlung in New York auf. Gestern kursierten Gerüchte, Thaksin wolle in London um Asyl bitten, seine Ehefrau Potjaman soll bereits nach Singapur gereist sein.

Unterdessen erklärten Anwohner in Bangkok, auf den Straßen außerhalb des Regierungsviertels laufe der Alltag ganz normal. Die Kaufhäuser seien geöffnet, ebenso viele Garküchen an den Straßenrändern. Auch das Auswärtige Amt in Berlin sieht keinen Grund, deutsche Urlauber zur Ausreise aus Thailand aufzufordern.

Doch die Ruhe ist trügerisch. Thailands politische Zukunft bleibt ungewiss. Ob sich General Sonthi an sein Versprechen halten wird, eine zivile Übergangsregierung einzusetzen, bleibt abzuwarten. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) appellierte an Thailands Militär, möglichst schnell eine Ordnung wiederherzustellen, die die Menschenrechte sowie Versammlungs- und Redefreiheit garantiert. „Die Rückkehr von Panzern in die Straßen Bangkoks ist ein klares Indiz dafür, dass die Bürgerrechte dort in Gefahr sind“, sagte der von Asien-Chef von HRW, Brad Adams.

Der Putsch vom Dienstag war zwar eine Blitzaktion, trotzdem kam er nicht überraschend: Bereits seit Monaten halten sich hartnäckig Gerüchte über einen Umsturz durch das Militär. Kenner beobachteten eine zunehmende Spaltung in den Reihen der Armee, die sich in Befürworter und Gegner Thaksins teilt. Thailand befindet sich seit Monaten in einer schweren politischen Krise: Zu Beginn des Jahres war der Premier unter Druck geraten, als Mitglieder seiner Familie die Anteile des von ihr kontrollierten Konzerns „Shin Corp“ an eine staatliche Investmentgesellschaft in Singapur verkauften. Für den Deal über umgerechnet 1,6 Milliarden Euro musste der Shinawatra-Clan keine Steuern zahlen.

Seine Gegner, allen voran die People’s Alliance for Democracy (PAD), hatte nach dem heftig kritisierten Shin-Corp-Verkauf an Singapur seit Februar mehrere Massendemonstrationen gegen Thaksin angeführt. Zeitweilig waren bis zu 100.000 Menschen auf die Straßen Bangkoks gegangen, um ihrer Wut gegen den Premier, dem sie Amtsmissbrauch und Korruption vorwarfen, Luft zu machen. Die von Thaksin für Anfang April angesetzten Wahlen waren jedoch von der Opposition boykottiert und im Mai vom Verfassungsgericht annulliert worden.

Nach dem jüngsten Staatsstreich muss dem Militär an einer stabilen und demokratischen Ordnung gelegen sein, auch im eigenen Interesse. Politische Beobachter sehen das demokratische System ausgehebelt. Allerdings geben sie auch zu bedenken, dass es die Thaksin-Administration selbst war, die seit ihrem Amtsantritt 2001 jahrelang demokratische Institutionen und Mechanismus ausgehöhlt hat. „Thaksin selbst hat mit seiner Politik einen Putsch herausgefordert“, so gestern Suriyasai Katasila von der regierungskritischen Initiative People’s Alliance for Democracy.

Momentan ist schwer einzuschätzen, inwieweit der Staatsstreich Billigung bei den Bürgern findet. Sowohl in der Hauptstadt Bangkok als auch in den Provinzen herrscht gespannte Ruhe, die Bevölkerung scheint gespalten: Einige begrüßten gestern das Durchgreifen der Militärs, riefen vor dem besetzten Parlaments- und Regierungssitz den Namen des Putschisten: „Sonthi! Sonthi!“. Andere hingegen äußerten sich skeptisch bis abwartend über den Coup. Junge Frauen verteilten gestern gelbe Rosen an die Soldaten – Gelb gilt als Farbe der Monarchie.

Seit 1932 hat das buddhistische Königreich rund 20, teils blutige Militärputsche erlebt. Noch deutlich haben viele Thais den sogenannten „Schwarzen Mai“ 1992 vor Augen. Damals hatte die Armee wehrlose und unbewaffnete Demonstranten regelrecht exekutiert, was dem Militär den Ruf von Schlächtern einbrachte. Der hochverehrte König Bhumipol Adulyadej hatte den damaligen Militärmachthaber Suchinda anschließend öffentlich zum Rücktritt aufgefordert. Diesmal behauptet Sonthi, im Auftrag des Königs zu handeln.