„Sie ist knallhart“

Im Rampenlicht stand sie nie: Hubert Fichtes Lebensgefährtin, die 90-jährige, in Hamburg lebende Fotografin Leonore Mau. Ein Gespräch mit ihrer langjährigen Assistentin Nathalie David

INTERVIEW VON PETRA SCHELLEN

taz: Frau David, Leonore Mau und Hubert Fichte. Er 26 Jahre alt und homosexuell. Sie 45 Jahre und, bevor sie ein Paar wurden, Ehefrau und Mutter. Wie haben die beiden miteinander funktioniert?

Nathalie David: Wichtig ist vor allem, dass sie in ihrer künstlerischen Arbeit harmoniert haben. Sie hat alles getan, damit er schreiben konnte – hat Telefonate abgefangen und so weiter. Er wiederum hat aus ihren Bildern die besten für seine Interviews ausgesucht. Sie haben sich viel mit Literatur befasst, haben Sprachen und Mathematik studiert. Es war eine symbiotische Beziehung.

Aber wie funktionierte ihr Zusammenleben jenseits der künstlerischen Arbeit?

Sie hat von vornherein akzeptiert, dass er homosexuell war. Er wiederum verspricht ihr in einem Text aus „Hotel Garni“: „Ich betrüg dich auch nicht. Nicht mit einer Frau. Mit Männern, das zählt nicht, ich meine, das ist was anderes. Du kannst mit einer Erna machen was du willst. Wenn ich dich mit einem Mann treffe... dann schmeiß ich euch beide aus dem Fenster.“ Dieser Satz erklärt sehr gut, wie sie sich arrangiert haben. Sie hatten keine Kinder. Ihr Baby – das war ihr künstlerisches Werk. Vor allem die 16-bändige „Geschichte der Empfindlichkeit“. Außerdem haben sie etliche Interviews geführt – für Stern, Spiegel und andere Illustrierte. Sie brauchten einander: Ohne seine Interviews hätte sie ihre Fotos nicht gut verkaufen können. Und er ohne Fotos nicht seine Artikel.

Hat Leonore Mau dies als gleichberechtigte Beziehung empfunden? Oder dachte sie trotz allem, dass sie „nur“ die Fotografin ist?

Ich glaube nicht. Fotografieren war ihre Leidenschaft und Berufung.

Aber er hat sie mitgezogen. Ohne ihn hätte sie die vielen Reisen auf andere Kontinente nicht erlebt.

Er ohne sie auch nicht.

Aber sie hat einmal gesagt, dass Hubert Fichte die Impulse gab.

Ja, aber sie hat anfangs viel mehr Geld verdient als er. Sie hat Mann und Kinder verlassen und ist mit Fichte in eine Anderthalb-Zimmer-Wohnung gezogen. Es war ein Risiko für sie. Fichte war damals noch ein unbedeutender Schriftsteller. Als sie sich kennen lernten, war Mau viel bekannter als Fichte.

Hat sich das im Laufe der Zeit nicht verschoben?

Nein, sie traten immer zusammen auf. Mau hat sich immer als Teil seiner Arbeit verstanden, und seine provokanten Texte verkauften sich damals gut. Dadurch, dass er sehr offen über Homosexualität schrieb, hat er viele Sympathien gewonnen. Leonore Mau dagegen war immer reserviert. Nicht zufällig stand sie hinter der Kamera.

Durch ihr Schweigen und dadurch, dass sich die Öffentlichkeit so stark auf Fichte konzentriert, wirkt Leonore Mau leicht wie ein Anhängsel.

Sie war immer eine sehr präsente Frau, die minutiös beobachtete. Und die viel Kraft hatte und hat. Wenn man zum Beispiel Opfer eines Busunfalls in Brasilien sieht, die gerade aus dem Wrack herausgeschnitten werden, muss man sehr stark sein, um das zu fotografieren.

Man muss den Schock ausschalten...

Wenn man durch die Linse guckt, konzentriert man sich voll auf die Arbeit, die jetzt gerade zu tun ist. Da geht es ausschließlich um Komposition. Man vergisst das Thema einfach. Sonst könnte man nicht fotografieren.

Aber kann man Mitleid einfach abstellen?

Das ist ein Prozess. Natürlich berührt einen, was man da sieht. Aber ich habe da zum Beispiel eine Methode entwickelt, um mich zu schützen – es ist wie Einatmen und Ausatmen. Wenn ich bestimmte Menschen auf der Straße sehe, atme ich nicht ein. Weil ich mich nicht von ihnen berühren lassen möchte. Beim Fotografieren und Filmen ist es genauso. Wenn man bestimmte Dinge ablichtet, braucht man Schutzmechanismen, damit einem das Thema nicht so nahe kommen kann.

Solche Situationen kann man nicht vorbereiten. Die passieren spontan...

... und man muss reagieren. Dazu gehört viel Ruhe. Die hat Leonore Mau immer gehabt. Sie ist überhaupt nicht nervös. Auch heute nicht. Sie ist 90 und nimmt keine Medikamente – weil sie viel über Medizin und gesunde Ernährung weiß. Sie weiß genau, was sie essen muss, wenn sie krank ist.

Hat sie diese Dinge von den vielen Heilern gelernt, die sie auf ihren Reisen traf?

Es hat wohl eher etwas mit ihrer Biographie zu tun. Sie wollte ursprünglich Medizin studieren. Dafür hätte sie aber in die NSDAP eintreten müssen, und das wollte sie nicht. Sie hat auch ihre Kinder aus dem Kindergarten genommen, weil sie nicht wollte, dass die „Heil Hitler“ sagen. Allerdings hat sie nie öffentlich gegen Hitler polemisiert. Ihr Widerstand war eher indirekt.

Und sie ist auch nicht feministisch – obwohl sie doch einen sehr eigenwilligen Weg gegangen ist?

Nein. Solche Kategorien interessieren sie nicht.

Hat sich Mau in den 15 Jahren, während derer Sie sie kennen, verändert?

Nein. Sie ist weiterhin knallhart, wie sie es immer war.

Was heißt das: Es gibt keine Debatten? Sie ist der Chef?

Nein, nicht unbedingt. Ich kann mit ihr streiten, aber in dem, was sie macht, gibt es keine Kompromisse.