Großdemo abgesagt

Chef der ungarischen oppositionellen Rechtspopulisten macht Rückzieher. Proteste gegen Premier dauern an

WIEN taz ■ In Ungarns Hauptstadt Budapest demonstrieren weiterhin tausende Regierungsgegner. Ausschreitungen blieben aber in der Nacht zu gestern aus. Die rechtspopulistischen oppositionellen Fidesz sagte gestern überraschend eine für Samstag angekündigte Massenkundgebung ab. Damit hätte Premierminister Ferenc Gyurcsány in die Knie gezwungen werden sollen.

Eine den Medien zugespielte Aufnahme einer parteiinternen Rede des Premiers hatte die Protestwelle ausgelöst. In der im Mai gehaltenen Ansprache hatte Gyurcsány die Genossen auf das bevorstehende Anpassungspaket vorbereitet. Dieses sei nötig, weil man die Menschen vor den Wahlen über den Zustand der Wirtschaft belogen habe.

Der Platz vor dem Parlament im Stadtteil Pest ist allabendlich Schauplatz von Demonstrationen, zu denen sich in erster Linie Anhänger der Opposition einfinden. So auch am Mittwoch. Obwohl keine Protestveranstaltungen genehmigt werden, hielten sich die Sicherheitskräfte zurück. Sie zeigten aber Präsenz rund um die Gebäude, die Anfang der Woche gestürmt worden waren, wie das Rundfunkhaus und das Parteilokal der sozialdemokratischen MZSP.

Auch die berittene Polizei patrouillierte durch die Straßen. Erst als eine Gruppe von etwa 80 Rechtsradikalen neuerlich versuchte, Randale zu machen, schritt die Polizei ein und kesselte die Krawallmacher ein. Prügeleien und Brandstiftung wie in den vorangegangenen Nächten blieben aus. Etwa ein Dutzend Personen wurde festgenommen. Kenner der ungarischen Sportszene wundern sich über die Zusammenarbeit von Hooligans der verfeindeten Fußballvereine Ferencvaros und Ujpest.

Die Absage der Großdemonstration vom Samstag zeigt nach Meinung politischer Beobachter, dass Oppositionschef Viktor Orbán offenbar fürchtet, für Ausschreitungen verantwortlich gemacht zu werden. Die Kundgebung soll aber nach den Kommunalwahlen nachgeholt werden.

Da Premier Gyurcsány weiter nicht an Rücktritt denkt und seine Reformpolitik durchziehen will, versucht Orbán, die Kommunalwahlen vom 1. Oktober zum Plebiszit über die Regierung zu stilisieren. Er fordert für den erwarteten Fall einer schweren Schlappe für die sozialdemokratische MZSP den Rücktritt der sozialliberalen Regierung und die Einsetzung eines Expertenkabinetts, das Neuwahlen ausschreiben soll. Jüngste Umfragen geben der regierenden MZSP nur 23 Prozent gegenüber 34 Prozent für Fidesz. RALF LEONHARD