AMERICAN PIE
: Noch mal nachgucken

FOOTBALL Amerikanische Innovationsfreude: Die NFL diskutiert über eine Ausweitung des Videobeweises

Es ist nicht anzunehmen, dass die Nachrichten aus Frankfurt am Main bis nach Florida gelangt sind. Aber sollte in Orlando, wo seit dem Montag die Besitzer aller Klubs der National Football League (NFL) zu ihrem alljährlichen „Owners Meeting“ zusammenkommen, irgendjemand zwischen Sitzungen und Schnittchen zufällig erwähnt haben, dass am Wochenende in Good Old Germany eine ähnliche Veranstaltung stattgefunden hat, die Vereine der Deutschen Fußball-Bundesliga getagt und sich gegen die Einführung der Torlinientechnologie entschieden haben, ja wäre dieser unwahrscheinliche Fall eingetreten, dann ist wahrscheinlich ein großes Gelächter ausgebrochen.

Denn während im deutschen Fußball die Einführung moderner Technik scheiterte, befindet der American Football in dieser Woche sogar über die radikale Ausweitung des Videobeweises. Die in der NFL so genannte „challenge“ erlaubt es dem Cheftrainer bis zu drei Mal pro Spiel, eine Schiedsrichterentscheidung anhand der TV-Bilder überprüfen zu lassen – bislang allerdings nur in genau definierten Situationen.

Hier setzt die Initiative für eine Ausweitung des Videobeweises an, hinter der vor allem die Trainer stehen. Denn die Bestimmungen, ob und wann der Hauptschiedsrichter am Spielfeldrand sich die Wiederholungen aus allen denkbaren Kamerawinkeln ansehen muss, sind kompliziert. „Momentan weiß doch niemand, was überprüft werden kann und was nicht“, sagte ein Cheftrainer, der anonym bleiben wollte, dem Magazin Sports Illustrated. „In der Hitze des Gefechtes wissen ja manchmal nicht mal die Schiedsrichter, welcher Spielzug überprüft werden kann.“ Der totale Videobeweis als große Vereinfachung für alle Beteiligten würde alles einfacher machen, heißt es nun.

Tatsächlich traten bisweilen absurde Situationen ein. Man sah Chefcoaches, die so lange zögerten, ihr rotes Taschentuch aufs Spielfeld zu werfen, um eine Entscheidung offiziell anzuzweifeln, bis es zu spät war. Flog eine rote Flagge zur falschen Zeit, wurde nicht nur die offensichtliche Fehlentscheidung nicht revidiert, sondern das protestierende Team noch mit einer zusätzlichen Strafe wegen falscher „challenge“ belegt.

Das aktuelle System ist auch deshalb so verwirrend, weil die NFL schon seit 1986 mit dem Videobeweis arbeitet. Mittlerweile müssen spielentscheidende Situationen wie Touchdowns sogar automatisch überprüft werden, aber im Laufe der Jahre wurde so oft an den Regeln herumgedoktert, dass sie mittlerweile ähnlich undurchschaubar sind wie die deutsche Steuergesetzgebung.

Der neue Vorschlag mag so umfassend sein wie die Bierdeckel-Lösung, die Friedrich Merz einst für die deutsche Steuer vorschlug, hat aber auch denselben Grundfehler: Sie ist wohl zu radikal, um in naher Zukunft umgesetzt zu werden. Denn in der NFL ist man vor allem solchen Innovationen gegenüber aufgeschlossen, die umsatzsteigernd sind. Die wiederkehrenden Diskussionen über Schiedsrichter und ihre Fehlleistungen sind in der NFL längst ein integraler Bestandteil des Unterhaltungsbetriebes. THOMAS WINKLER