gottschalk sagt
: Keine Hymne ohne Unterpfand

„Hier an Rhein und Ruhr und in Westfalen, an Sieg und Ems, im Lipperland, hier an Rhein und Ruhr und in Westfalen, schlägt unser Herz, lebt unser Land“, sangen die „Bläck Fööss“ unserem Bundesland zum Sechzigsten.

Der WDR hatte sie gebeten, eine Hymne für NRW zu komponieren, für so was sind die heimatverbundenen Kölner ja prädestiniert. Ihr Hit „In unserem Veedel“ ist auch nichts anderes als eine Hymne, zumindest erfüllt dieses Lied zwei wichtige Kriterien für Hymnen: Es ist kitschig und verlogen. Der Anfang des Fööss-NRW-Liedes erinnert inhaltlich ein wenig an „Auferstanden aus Ruinen“: „Unser Land lag verbrannt in Wunden, die der Krieg geschlagen. Doch mit Herz und Verstand nahmst Du Dein Schicksal selber in die Hand.“

Wobei ich, auch wenn NRW erst 1946 gegründet wurde, den Mythos etwas früher ansetzen würde: „Auch hier wurden die Hirne weicher, sah man den kleinen Österreicher! Bis die Westfront in großen Schritten, marschierte durch des späteren Nordrhein-Westfalens Mitten“, um dann mit der Einführung der Demokratie fortzufahren: „Es war der Ami, nicht der Russe, der sagte, ‚Du jetzt wählen musse!‘“ Schließlich käme man dann zur Geburtsstunde unseres Landes: „Aus Engeland kam die schöne Idee: ,Folks, wir gründen jetzt NRW!‘“ O.K., noch nicht ganz ausgereift, holpert an manchen Stellen ein wenig, das gebe ich zu.

Zumal es noch ein wichtiges Kriterium für deutsche Hymnen gibt, das Helmer Hinzer aus Korschenbroich, der am Hymnen-Dicht-Wettbewerb der Rheinischen Post teilgenommen hat, mit Bravour erfüllt: „Heimat wurde neu vermessen, der alte Zopf, er war vergessen, gestaltet wurde nun das Neue, das grün-weiß-rote Vaterland, des Menschen größtes Unterpfand.“ Genau! Unterpfand muss drin vorkommen. Der Musikredakteur der Rheinischen Post hat übrigens eine schöne getragene Melodie für die Hymne geschrieben, und die drei besten Texte sind von einem Tenor zu Klavierbegleitung eingesungen worden.

Wenn Sie zu Hause auch ein bisschen NRW-Geburtstag feiern wollen, kippen Sie ein paar Piccolöchen und erheben Sie sich schwankend zu der Hymne, die mit drei verschiedenen Texten bei RP-online gesungen zur Verfügung steht. Die RP hat ihre Leser über die Hymnen abstimmen lassen, gewonnen hat Insa Bunjes, stellvertretend für den Literatur-Kurs Jahrgang 12 des Fichte-Gymnasiums Krefeld: „Schöne Städte, nette Leute, Industrie, auch viel Kultur, Bildung, Bier und Sportarenen, Karneval an Rhein und Ruhr!“

Eindeutig viel besser als die Bläck Fööss, aber irgend etwas fehlt! Ohne dem Literatur-Kurs Jahrgang 12 des Fichte-Gymnasiums Krefeld zu nahe treten zu wollen, möchte ich gerne ergänzen: „Schöne Dörfer, prima Kneipen, oh Du super Bundesland, der eine sammelt leere Flaschen, dem anderen reicht das Unterpfand.“

Fotohinweis: CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz