WENN B. KOCHT UND BIER GEKAUFT HAT
: Stereo Total weiß, wie ich mich fühle

VON DETLEF KUHLBRODT

Es war Freitagabend und es hätte mich gleich stutzig machen sollen, dass B. etwas zu essen gemacht hatte, denn wir aßen sonst nie zusammen. Und dass sie mehrere Biers gekauft hatte. Und wie sie plötzlich anfing, ausweichend von irgendwelchen Familiengeschichten von früher zu erzählen, um mir dann zu eröffnen, dass ich bis Ende Dezember aus dem Zimmer verschwunden sein müsse, das sie mir vor kaum einem Jahr vermietet hatte.

Ich war schockiert. Alle hatten mir prophezeit, dass B. mich irgendwann spontan rausschmeißen würde, und ich hatte nicht zuhören wollen. Drei Wochen zuvor hatte sie mich noch gedrängt, mein einjähriges Jubiläum in Treptow mit einer Party zu feiern. Und nun das.

Ich wollte zwar auch selbst ausziehen – besonders gut hatten wir uns nicht verstanden –, aber doch nicht jetzt. Sondern im Frühling. Wenn sich alle anstehenden Sachen von selbst erledigen.

Jetzt war eher schlecht: Ich kam mit meinem Buch nicht weiter und stand ohnehin ein bisschen allein im Leben herum, eine Neuausgabe von Blumfeld, dem älteren Junggesellen bei Kafka. Aber der war noch jünger gewesen, als er von älteren Junggesellen geschrieben hatte, und hatte auch eine Festanstellung gehabt.

Kotzwürg!

Ich ging in mein Zimmer und schloss die Tür. Ich dachte an meine Mutter, die immer irgendwann, wenn man sie im Heim besuchte, verzweifelt davon anfing zu erzählen, dass sie heute Abend bestimmt rausgeschmissen werden würde und nackt dann durch die Nacht irren müsste. Das war so eine Erinnerung an ihre Vertreibungsgeschichte. Und nun war ich, der also … ach Quatsch!

Aufgeregt trank ich vier Bier, ohne was davon zu merken. Vielleicht war die Kündigung ja auch nicht so schlecht. Auf dem Wohnungsmarkt hätte ich zwar keine Chance, aber irgendein Freund oder ein netter taz-Leser würde mir schon was vermitteln. Vor allem war ich nun dazu gezwungen, wieder etwas aktiver ans Leben ranzugehen. Nichts hasste ich so sehr, wie zu etwas gezwungen zu werden.

Ich schrieb Mails an alle Freunde und postete was auf Facebook. E., die grad in Rente gegangen war, reagierte sofort; wenn alle Stränge reißen würden, könnte ich nach Pankow kommen. Ein Punkrockstar aus Friedrichshain stellte mir erst ein Zimmer in seiner Dachterrassenwohnung mit Rundumblick in Aussicht, schloss seine Mail mit „love“ und „bis dann, dein Jan“, meldete sich (vielleicht nachdem er mich gegoogelt hatte) dann aber auch nicht mehr. Ein anderer Freund bot mir ab sofort eine Wohnung weit hinten im Wedding an. Das ging aber auch nicht; wenn schon nicht mehr in Kreuzberg, so wollte ich doch zumindest in der Nähe bleiben.

Ich musste ein bisschen schlucken, als ich mir meinen Kontostand anguckte, den ich lange nicht mehr kontrolliert hatte, und vergaß dann das Geld mitzunehmen, das ich mir grad gezogen hatte. Dass mir – anders als vor einem Monat – niemand hinterherrannte, schien darauf zu deuten, dass ich in dieser Gegend nichts mehr verloren hatte.

Abends dann, an der Lohmühle, guckte ich mir Stereo Total an. Das Konzert war großartig. Es war so voll, dass nur die Kamera was sehen konnte, wenn man sie hochhielt. Bei einem Lied dachte ich, es passe supergut auf meine Lage. Keine Ahnung, wie es hieß.