„Bauchfrei eher nicht“

Am Donnerstag stach in Wilhelmshaven der deutsche Unifil-Flottenverband gen Libanon in See. Was wissen die jungen Soldatinnen und Soldaten über Zweck und Ziel ihrer Reise? Ein Ortsbesuch

VON JASNA ZAJCEK

Die Nordsee glitzert im Sonnenschein, eine Brise weht durch den militärischen Hafen von Wilhelmshaven. Die deutsche Unifil-Flotte, bestehend aus imposanten Fregatten, die die Namen der Bundesländer tragen, liegen abfahrbereit neben Schnellbooten mit den putzigen Namen „Dachs“ und „Nerz“.

Der Verteidigungsminister schreitet einige hundert stramm stehende SoldatInnen in einer letzen Musterung ab, spricht von der „historischen Bedeutung“ der Mission, und hofft, dass die deutsche Marine innerhalb der Unifil-Mission es schafft, „endlich Frieden im Nahen Osten“ zu schaffen. Hinter den SoldatInnen stehen ihre Familien und Freunde: gerührt, stolz – und beunruhigt. Hollywoodverdächtig springen Kleinkinder ihren Vätern in Offiziersdress ein letztes Mal in die Arme, Frauen in Uniform tauschen unter Tränen leidenschaftliche Abschiedküsse mit ihren Freunden.

Rund 1.000 SoldatInnen liefen am Donnerstag aus, um den fragilen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah zu überwachen. Die Aufgabe ist klar definiert, und doch ist es für die Besatzung eine Fahrt ins Ungewisse. Noch wissen einige der SoldatInnen kaum mehr über ihre Mission, als die voraussichtliche Wetterlage im Golf von Biskaya.

Annelie Rohr, 22, Obermaat aus Leipzig, seit acht Monaten Zeitsoldatin auf dem Verbands-Führungsschiff „Mecklenburg-Vorpommern“ hat heute die Aufgabe der Vorzeigesoldatin für die Journalisten erhalten. Sie wollte wegen ihrer „Liebe zur See“ und der „Sehnsucht nach Weite“ schon immer zur Marine. Obwohl der Abmarschbefehl seit Wochen in der Luft lag, hat sie sich noch nicht mit den Besonderheiten des Libanons, seiner jungen Demokratie und seiner Religionsvielfalt auseinander gesetzt. „Wir haben Aushänge auf den Booten, da kann man sich informieren“, gibt sie etwas schüchtern zu. Sie wisse aber schon, dass man „da eher lange Sachen, nicht bauchfrei“ tragen solle. Ansonsten lächelt Obermaat Rohr freundlich und professionell in die Kameras und wiederholt auch geduldig zum zehnten Mal, dass „man Sorge vor Anschlägen hat“, aber „so gut es nur geht“ vorbereitet sei.

Sie arbeitet als eine von neun Frauen unter 209 Männern auf ihrer Fregatte. „Natürlich hat man es als Frau unter so vielen Männern manchmal schwer“, gibt sie zu, doch generell herrsche so ein „guter Teamgeist“, dass geschlechterspezifische Problem nur selten aufträten. Jetzt freut sie sich, dass die Wochen des Wartens vorbei seien und es losgeht. Dass sie ihr Privatleben auf einen Spind reduzieren muss, stört sie nicht: „Wenn man mal kein Peeling hat, dann muss es auch ohne gehen.“ Natürlich werde sie Freund und Familie vermissen, aber Internet und Mobiltelefon machen ständigen Kontakt möglich.

Ein Stabsgefreiter, der ungenannt bleiben möchte, erzählt, dass viele Laptops mitnehmen würden und abends gern Online-Kriegsspiele wie „Counter Strike“ und „World of Warcraft“ spielen. Für seine Mutter beginnt jetzt das große Bangen. Die freundliche, korpulente Dame, bewahrt Contenance, doch beim Sprechen zittert ihre Stimme. Zwar sei ihr Sohn schon am Horn von Afrika im Einsatz gewesen, doch „das war Urlaub im Vergleich zu dem, was jetzt ansteht“, schildert sie auf Deck, auf das sie die Reporterin an Feldjägern vorbeischmuggeln konnte. Denn Presse ist bei nicht extra gebrieften SoldatInnen unerwünscht, und Eltern sollen gar nicht von der Presse belästigt werden. Ihr in voller Montur auf dem Deck stehender Sohn versteckt seine Aufregung hinter lässigen Sprüchen. „Wir wissen zwar wenig von dem Seegebiet und das auch nur aus Karten, aber wir haben die lange Fahrt zur Vorbereitung“, sagt er. „Schön wär’s nur, wenn ich Weihnachten nach Hause käme. Schließlich war ich schon die letzten drei Jahre zum Fest auf See.“

Bereits Mitte August sei für ihn klar gewesen, dass es bald losgehen würde, sagt er. Auch ohne Kabinetts- und Bundestagsbeschluss. „Wir wollten nach der Hanse-Sail in Rostock unsere Fregatte zur Überholung in die Werft bringen, doch dann hat der Artilleriewaffenmeister scharfe Flugkörper für einen Einsatz bestellt.“ Nun freue sich auf die Tage auf hoher See und werde die Zeit genießen, die das Team braucht, um sich einzuspielen. „Und wenn wir dann erst mal im Libanon sind, beginnt der Arbeitsalltag und die Aufregung verschwindet.“

Um den hoch gewachsenen, eloquenten jungen Mann, der lässig an einer Zigarette zieht, stehen seine Eltern und seine drei besten Freundinnen herum. Der Mutter merkt man den Stress der letzten Wochen und die Aussicht auf bevorstehende bange Monate an. Ob sie stolz sei auf ihren Sohn, der einen festen Job habe, Frieden und Demokratie in der Welt verteidige und mit Auslands-etc.-Zulagen immerhin 1.800 Euro verdiene? Jetzt lächelt sie ein wenig. „Ich muss mir immer Sorgen um ihn machen. Aber dass mein Junge seinen Berufstraum leben kann, macht mich ein bisschen froh.“

Die ersten Hörner tönen. Die Besatzung geht zackig an Bord, kurz darauf legen die Schiffe im Verband langsam ab. Musik erklingt. Für jedes Schiff des Flottenverbands stimmt die Militärkapelle „Muss i’ denn, muss i’ denn zum Städele hinaus“ an. Die SoldatInnen winken, breitbeinig auf ihren Decks stehend, ein paar Pfiffe gellen. Mütter, Freunde und Angehörige weinen und selbst die hartgesottensten Journalisten winken energisch und pfeifen zurück. Aufgrund der ergreifenden Dramaturgie, der Jugend der Akteure – das Durchschnittsalter liegt unter 30 – und der Ungewissheit der Mission haben nicht nur die Angehörigen Tränen in den Augen.