Die Liberale mit sozialer Ader
Den Blumenstrauß durfte sie nicht vergessen. Das Gebinde wollte Miriam Gruß in aller Hektik des Parlamentsbetriebs noch eilig besorgen. Der Adressat war ihr Mann. Denn der Gatte der FDP-Abgeordneten hat etwas getan, was bislang noch immer die Ausnahme ist: Der Versicherungsberater hat vor zwei Wochen seinen Job bei MLP aufgegeben, um sich um den gemeinsamen sechsjährigen Sohn zu kümmern. Karriere macht jetzt seine Frau.
Die 35-jährige Bayerin und ihr Mann machen vor, worüber Politiker und Bürger allzu oft nur reden: Den Grundsatz gleicher Rechte und Pflichten für beide Geschlechter will sie im Alltag leben. Wie schwer das ist, weiß die Diplompolitologin aus eigener Erfahrung. Nun will Gruß es durch mehrere Gesetzentwürfe leichter machen, Familie und Beruf zu vereinbaren.
Die familienpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion schlägt vor, Spitzenverdienern kein Elterngeld mehr zu zahlen. Ledige mit einem Jahreseinkommen von mehr als 250.000 Euro und Paare mit mehr als 500.000 Euro bräuchten das Geld nicht, urteilt Gruß. Dieses ließe sich nutzen, um geplante Kürzungen beim Elterngeld für Eltern ab einem Nettoeinkommen von 1.240 Euro pro Monat zu verhindern. Zwar lehnte Familienministerin Kristina Schröder (CDU) dies prompt ab. Aber die Debatte über Sparmöglichkeiten bei Gutverdienern ist entfacht.
Ähnlich forsch, aber diesmal in Einklang mit der Unions-Fraktion geht Gruß bei der Gleichstellungspolitik voran. Ein Gesetzentwurf von ihr sieht vor, Jungen und Männer gezielter zu fördern. Dies fordern Experten seit Jahren, es blieb aber weitgehend liegen, auch unter Rot-Grün.
Womöglich haben diese Vorhaben auch zum Ziel, die FDP vom Ruch der sozialen Kälte zu befreien. Ein Grund aber liegt in Gruß’ bayerischer Herkunft. Der dortige FDP-Landesverband gilt als sozialliberal. Geführt wird er von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – der letzten prominenten Vertreterin dieser einst mächtigen Strömung in der Partei. Mit Miriam Gruß könnte nun eine zweite hinzukommen.MATTHIAS LOHRE
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