: Kuscheltechno und Geheimes
Flauschig, fluffig, federleicht. So klingt der Techno aus Berlin. Die Zeiten des, wie es einst liebevoll schnurrend genannt wurde, „Berliner Bretts“ sind lange vorbei. Heute steht Berlin nicht mehr für betonharte Beats mit Sperrmüll-Samples, nicht mehr für den anschließenden Purismus des Minimal, sondern für eine irgendwie chillige, bisweilen sogar hippieeske, auf jeden Fall leicht verdauliche elektronische Tanzmusik, die im Club funktioniert, aber auch Soundtrack zu einem Sommernachmittag am Kanalufer sein kann.
Verantwortlich für diesen Klang- und Imagewandel sind Chi-Thien Nguyen und John B. Muder alias Chopstick & Johnjon. Die beiden leiten das Label Suol, auf dem Fritz Kalkbrenner, der Bruder vom Paul, Meggy und Till von Sein veröffentlichen. „Twelve“ ist ihr erstes Album, für das sie den Londoner Chris James als Sänger rekrutiert und jede Menge extrem entspannte Tracks gebaut haben. Da pluckert und bubbert, wabert und wuschelt es, dass einem ganz warm wird. Niedliche Melodien gucken vorbei, räkeln sich auf gemütlichen Keyboardflächen, und die Bassdrum schlägt immer geradeaus im vertrauten Takt des Herzens. Die Stücke heißen „Run Slowly“, „Silent Sea“ oder „Dissolving Light“ – allzu schnell geht es niemals zu. Die Stille eines Ozeans könnte kaum beruhigender sein, und wenn man sich ganz einlässt, scheint sich der Raum um einen herum aufzulösen. So wird das Schimpfwort „Kuscheltechno“ zum Ehrentitel.
Wenn Chopstick & Johnjon für den Sommer zuständig sind, dann klingt Khan auf seinem neuen Album „The Enlightenment Machine“ nach Winter: Träge schlürfen die Rhythmen, müde hebt sich die Stimme aus einem Dickicht spröder, trocken knackender Töne. Can „Khan“ Oral, geboren in Frankfurt am Main mit türkischen und finnischen Wurzeln, lebte in New York, bevor er 2002 nach Berlin kam. Seitdem hat er sich zu einem Gesamtkunstwerk entwickelt, hatte Ausstellungen im Bethanien und HKW, machte Musik mit Diamanda Galas oder Kid Congo. Und allein: Verschlungene, vertrackte Musik zwischen Dancefloor und Hörspiel, Kirchenmusik und Klanglandschaft, mit Sprechgesang und Soul, simplen Melodien und Hang zum Komplexen, monoton und doch nervös, ein bisschen gruselig und sehr menschlich. Musik, die ein Geheimnis zu haben scheint – und sich nicht an der eigenen Funktionalität berauscht wie der Berliner Techno dieser Tage. THOMAS WINKLER
■ Chopstick & Johnjon: „Twelve“ (Suol/Rough Trade), DJ-Gig bei der Suol-Nacht am 29. 3. im Watergate
■ Khan: „The Enlightenment Machine“ (Albumlabel/Indigo)
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