Auf Wohnungssuche (5): Jenseits des Kanals
Neid erfasste mich. Da stand der Dichter Th. in seiner dunklen, aber weiträumigen und aufgeräumten Wohnung und sprach vor sich hin. Er redete von einem Drehbuch, das er mithilfe eines Redakteurs für einen ostdeutschen Krimi im Fernsehen geschrieben hatte. Das sei einfach so gekommen, Szene für Szene, mit Anleitung, über die Sprache hätte er sich gar keine Gedanken gemacht. Die Bezahlung könne man sich gar nicht vorstellen.
Und ja, Gedichte geschrieben hat er auch einmal, er hat sogar damit angefangen, außerdem hat er dieses schwere, weiße, schön aussehende Buch eines englischen Lyrikers übertragen. Und hier in der Wohnung, es gab einen Blick auf den Hinterhof und so eine Frauen anziehende offene Küche, wäre er gar nicht so oft gewesen, schließlich reise er viel herum, Lesungen, Veranstaltungen, Preisverleihungen, ich wisse schon.
Ja, ja, nickte ich. Ich kannte ihn von einem gemeinsamen Basketballspiel, wo er auch schon so uneitel auftrumpfte. Außerdem hatten wir gemeinsame Bekannte aus allerlei Zusammenhängen. Aber ums Schreiben ging es immer. Jetzt ziehe er hoch in den Prenzlberg, sagte er, mit seiner Frau zusammen, die sei jetzt endlich in Berlin. Frau also auch, dachte ich.
Zum Glück war die Wohnung sehr dunkel, es gab kaum etwas zu erben, keinen Ofen, keine Spüle, keine Jalousien, und draußen rissen die Bauarbeiter die unbelebte Straße auf. Die sich in der toten Ecke Neuköllns befand, jenseits des Kanals, dort, wo man eigentlich schon Treptow erwartete. Warum die Aufzählung der Nachteile? Um den Neidfaktor niedrig zu halten? Nein, die Enttäuschung. Schließlich hat auch diese Wohnung am Ende irgendwer anders bekommen. Der Krimi läuft im nächsten Frühjahr, zur Buchmesse. Geht es um einen Autoren, der als Serienkiller seine erfolgreichen Konkurrenten erledigt? Nein, nein, sagte Th. Natürlich nicht. RENÉ HAMANN
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