Das Rennen aus der Hand gegeben

Handbiker Errol Marklein wollte sich mit einem Sieg beim Berlin-Marathon vom Leistungssport verabschieden. Der 49-Jährige hatte sich so gut vorbereitet wie nie. Doch schon nach wenigen hundert Metern zerbrach der Traum von der neuen Weltbestzeit

Von Lars Jeschonnek

Es hätte sein großer Tag werden sollen. Das letzte große Rennen. Der Marathon in Berlin als Krönung einer großen Karriere. „Alles rauslassen, was dieser alte Körper noch hergibt“, wollte Errol Marklein, der Grandseigneur des Handbike-Sports, jener modernen Variante des Rennrollstuhlfahrens. Der 49-Jährige wollte 42,195 Kilometer „ausbelasten“, wie die Sportwissenschaftler sagen. Sein Puls tobte zwar genauso wie nach der Marathondistanz, als das Rennen für ihn beendet war, doch weit gefahren war er nicht.

Schon nach wenigen Metern war der Traum vorbei. Offenbar im Übereifer kurbelte Marklein zu fest, viel zu fest. Die Folge: Die Kettenblätter rissen von der Antriebswelle. Marklein musste aufgeben. „Ich bin einfach nur ratlos“, sagte er nach dem Rennen. In seiner fast 30-jährigen Karriere hatte Marklein noch nie eine Panne im Rennen gehabt.

Am Donnerstag war er noch voller Zuversicht gewesen. Er sprach gar davon, die Strecke in 1,07 Stunden zu fahren. Das wäre Weltbestzeit. „Glatter Teer, breite Straßen, gutes Wetter: Es ist angerichtet“, sagte Marklein, der in der Nähe von Heidelberg wohnt. Zudem habe er sich zum ersten Mal in seiner Karriere vernünftig auf ein solches Rennen vorbereitet, nicht nur hart und heftig trainiert, sondern gewissenhaft mit einem langfristigen Plan.

Journalisten haben ihn einmal mit dem Rodler Georg Hackl verglichen, einem Altstar, der über enormes Technikverständnis gegenüber jüngeren Konkurrenten Boden gutmacht. In der Tat lag er in Berlin am Start in einem Bike, das noch mal eine Spur flacher und schmaler war als das der Konkurrenz.

Alle Aerodynamik half nichts: das Glück eines gelungenen Abschieds war Marklein nicht vergönnt. Die Ironie dabei: Seine Karriere als Leistungssportler begann nach einem schweren Autounfall, der ihn von der Hüfte abwärts lähmte. Nun wurde sie von einer kleinen Panne beendet. Dabei hatte sich Marklein so sehr auf das Rennen in Berlin gefreut: „Die Stimmung ist nicht in Worte zu fassen. Es gibt keine leeren Stellen entlang der Strecke. Man wird permanent von den Zuschauern gepusht, überall spielen Bands.“ Berlin sei Geschichte, aber auch schon immer Plattform für Behindertensportler gewesen. Seit 1985 gehen die Rollstuhlsportler an den Start – gemeinsam mit nichtbehinderten Sportlern.

„Wenn dann ein Rolli-Fahrer oder Handbiker neben einem normalen Läufer ins Ziel kommt, verschwinden die Unterschiede, und alle sind nur noch Sportler“, sagte Marklein und seine Augen leuchteten. Es ist auch sein Verdienst, dass Rollstuhlfahrer beim Berlin-Marathon starten dürfen. „Dafür musste ich damals einige Klinken putzen.“ Beim Debüt vor 21 Jahren starteten gerade einmal 30 Männer und fünf Frauen. In diesem Jahr meldeten insgesamt 183 Behindertensportler.

Sie genossen die Fahrt durch das Brandenburger Tor hindurch auf die Zielgerade, wo sie von tausenden Zuschauern bejubelt wurden. Als Wim De Cleir aus Belgien und Edward Maalouf aus dem Libanon als erste Handbiker durch das Ziel rasten, spielte der DJ Schnulzen-Pop. „Ja, ich weiß: Es war ’ne geile Zeit“, schallte es aus den Boxen. Es hätte zu gut zu Markleins Abschied gepasst.

Der Pechvogel war derweil bereits auf dem Weg ins Hotel. Er wollte nur noch heim. Tochter Uma wurde am Samstag eingeschult. Ihr Vater wird demnächst viel Zeit haben, um mit ihr Schulbücher zu wälzen. Für Errol Marklein gibt es nun Wichtigeres, als schnell Handbike zu fahren.