Nicht reif fürs Rad

Die meisten Schulkinder, die auf dem Schulweg in Fahrradunfälle geraten, sind zwischen elf und 14 Jahre alt. Finanzschwachen Eltern kostenlose Buskarten zu gewähren, findet der Senat unnötig

von KAIJA KUTTER

Für Aufsehen sorgte am Wochenende der Verkehrsunfall von Christine aus Poppenbüttel: Die Achtjährige war an einem Fußgängerüberweg von einer Rentnerin angefahren worden und überlebte den Sturz nur dank ihres Fahrradhelms. In Hamburg bewegt sich die Zahl der Unfälle im Straßenverkehr, an denen Kinder beteiligt sind, seit Jahren auf hohem Niveau. Im vergangenen Jahr waren Kinder an 326 Fahrradunfällen beteiligt; am meisten nicht solche zwischen sechs und zehn Jahren, sondern Elf- bis 14-Jährige. Dagegen geht die Zahl der Unfälle mit 15- bis 18-jährigen Schulkindern zurück. All dies geht aus der jüngsten Statistik der Hamburger Polizei hervor.

Waren im Vorjahr von den unter Fünfjährigen nur 27 Kinder und von den Sechs- bis Zehnjährigen 95 in einen Unfall verwickelt, so waren es bei den Elf- bis 14-Jährigen 204. Im Jahr 2004 war die ältere Gruppe mit 233 Unfällen mehr als doppelt so oft an Unfällen beteiligt wie die Grundschüler (104).

„Auf dem Weg zu den weiterführenden Schulen müssen viele das Rad benutzen“, erklärt Polizeipressesprecher Ralf Kunz. So häuften sich die Unfälle morgens zwischen 7 und 8 Uhr sowie mittags ab 13 Uhr. Zu den Grundschulen dagegen gibt es meist noch kurze Fußwege. Auch ist den Schülern die Benutzung des Rades hier erst nach Ablegung einer Fahrradprüfung gegen Ende der 4. Klasse erlaubt.

Was die örtlichen Verkehrspolizisten auf den vorbereitenden Elternabenden für diese Prüfung erklären, ist wenig beruhigend: Demnach sind Kinder erst ab 14 Jahren in der Lage, den Verkehr zu überblicken und auch die anderen Verkehrsteilnehmer richtig einzuschätzen. „Dies stützt sich auf wissenschaftliche Untersuchungen“, sagt Polizeisprecher Kunz.

Der Verkehrsforscher Dieter Ellinghaus vom Kölner Ifaplan-Institut etwa spricht von „verkehrsbezogenen Fähigkeiten“, die sich stufenweise entwickelten. Regelrechte Sprünge seien zwischen dem siebten und achten Lebensjahr sowie später „zwischen 13 und 14 Jahren“ zu beobachten. Erst im neunten Lebensjahr lernten Kinder, einhändig zu fahren und mit der anderen Hand Zeichen zu geben. Erst mit 14 Jahren, so Ellinghaus, „sind Kinder in der Lage, sich schnell, aber auch langsam mit dem Fahrrad in engen Fahrräumen zu bewegen“. Kinder würden „mit Gestattung der Eltern“ mit Situationen konfrontiert, „die sie noch gar nicht bewältigen können“, sagt Ellinghaus.

Vor diesem Hintergrund scheint die jüngste Kürzung des Schülerfahrgeldes für Kinder finanzschwacher Familien fragwürdig. Seit Januar erhalten bedürftige Schüler der 5. bis 9. Klassen, die weniger als fünf Kilometer von der Schule entfernt wohnen, keine kostenlosen Fahrscheine mehr. Begründung: Sie könnten ja auch das Rad benutzen. Für Alexander Luckow, den Sprecher der Bildungsbehörde, sind mögliche Erkenntnisse über die Fahrfähigkeit kein Grund, diese Kürzung zu überdenken. Für „unsichere“ Eltern gebe es „andere Wege“, sagt Luckow. „Die Option, ein Kind mit dem Bus zur Schule zu schicken, fällt nicht automatisch mit der Förderung weg.“