ARNO FRANK über GESCHÖPFE
: Ohne Vorgruppe

Und ohne Zugabe! Eine Kolumne wie ein Rockkonzert! Oder wenigstens wie ein T-Shirt …

Schade, dass diese Kolumne eine Kolumne und kein Rockkonzert ist. Wäre sie ein Rockkonzert, dann würde auf dieser Seite jetzt das Licht gelöscht und ohrenbetäubender Jubel aufbranden. Mein treues Publikum, vom langen Warten aufgeheizt und alkoholisiert, verfiele in das euphorische Stampfen und rhythmische Klatschen, mit dem es auf Rockkonzerten traditionell seine freudige Erwartung artikuliert. Im Halbdunkel würde ich die Bühne betreten, die Leute noch ein wenig zappeln lassen und dann meinen Satz ins Mikro krächzen: „Guten Abend, ich bin Arno Frank – und ich werde euch den Arsch rocken!!“

Würde ich natürlich nicht, im Gegenteil. Ich wüsste gar nicht, wie ich das anstellen sollte, wollte ich wirklich mal den Arsch meines treuen Publikums „rocken“. Falls ich überhaupt ein Publikum habe, will es wahrscheinlich gar nicht gerockt werden – jedenfalls nicht von einem dahergelaufenen Kolumnisten wie mir. Ich sehe das ja genauso. Wer uns rocken will, der sollte schon Experte sein.

Wie Lemmy Kilmister beispielsweise, der seit mehr als dreißig Jahren jedes Konzert seiner Rockgruppe mit dem immer gleichen Satz einleitet: „Good evening, we are Motörhead – and we’re gonna rock your ass!“ Bei Motörhead klappt das immer, denn Motörhead haben ein extrem treues und pflegeleichtes – fast wäre ich versucht zu sagen: einfältiges – Publikum.

Verächtern der Einfalt und Feinden des Rock sei hier deshalb knapp erläutert, dass Motörhead seit Menschengedenken mit ihren einfältigen, aber immer auch irgendwie arschwackelnden Heavy Metal erfolgreich sind. Als wäre das nicht schon dumpf genug, variieren Motörhead seit mehr als dreißig Jahren eigentlich immer wieder den gleichen Song („Ace of Spades“), ohne dass ihnen das jemals zum Nachteil gereicht hätte. Ganz im Gegenteil ist die ewige Wiederkehr des immergleichen Stumpfsinns der „unique selling point“ dieser Gruppe – ein testosterongetränktes Alleinstellungsmerkmal, das sie sich höchstens noch mit den ähnlich orthodoxen Ramones teilen muss. „Der Lemmy“, heißt es deshalb oft, „der bleibt sich treu!“

Das mit Abstand kostbarste Geschenk, das diese Band der Popkultur gemacht hat, ist allerdings nicht die Musik. Es ist ein unscheinbares Textil – das sogenannte Motörhead-T-Shirt.

Dabei handelt es sich nicht nur um ein T-Shirt oder ein mit „Motörhead“ bedrucktes T-Shirt, sondern um die Mutter aller mit Bandnamen bedruckten T-Shirts überhaupt. Es hat sich, wie die Gruppe selbst, seit über dreißig Jahren nicht verändert und ist folglich klassisch zu nennen. Auf schwarzem Grund steht oben in weißer Schrift und in Fraktur „Motörhead“, darunter die Herkunftsangabe „England“, merkwürdigerweise ebenfalls in Fraktur. Dazwischen prangt das prollig-pubertäre Maskottchen der Gruppe, eine Art stilisiertes Warzenschwein mit Kettenhemd und Pickelhaube.

Schon beim bloßen Anblick dieses durchaus dümmlichen Motivs steigt dem Betrachter der Geruch von Motoröl, Männerschweiß und Dosenbier in die Nase. Tatsächlich erspart das T-Shirt seinem Träger, die Musik von Motörhead zu hören, weil es imprägniert ist mit ihrer eigentlichen Bedeutung, nämlich immerwährender Adoleszenz und einem optimistischen Bekenntnis zur Selbstzerstörung: „Tinnitus? Da pfeif ich doch drauf!“

In diesem eigenwilligen Design hat das T-Shirt, darin der katholischen Kirche übrigens nicht unähnlich, die Zeiten und Moden unverändert überstanden. Es ist zu einem universell lesbaren Zeichen geworden, das von den Pennern am Hauptbahnhof („Ey, geil, Möddörhääd!“) bis zur akademisch geschulten Kollegin („Cool, sehr ironisch, weiter so!“) verstanden wird. Genau das ist das Problem. Neuerdings gibt es das T-Shirt sogar für Mädels, in harmlosem Pink, was den martialische Aufdruck „total smart“ dementiert. Schlimm.

Ich werde mir wohl ein neues T-Shirt zulegen müssen, eines, dass resistent ist gegen Ironie und immun gegen Augenzwinkern. Was machen eigentlich Iron Maiden so?

Fotohinweis: ARNO FRANK GESCHÖPFE Fragen zum Rock? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN